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"Schau nach oben" Britische Kulturstadt Hull sucht nach neuer Identität

Bei Hull denkt man an Hafen und Fish'n Chips. Top-Industrie und Kultur sollen nun auf der Suche nach einem neuen Image helfen.

Von Anna Tomforde, dpa 14.03.2017, 09:22

Hull/London (dpa) - Wie ein gigantischer Walfisch streckt sich der 75 Meter lange Windradflügel quer über den Queen Victoria Square in der Stadtmitte von Hull. Die riesige Installlation soll den Passanten zwar nicht den Weg versperren, aber ihnen doch Einhalt gebieten.

"Schau nach oben" ist das Motto, mit dem Künstler in der einst grauen Hafenstadt an der Nordostküste Englands die Auszeichnung als Britische Kulturhauptstadt 2017 feiern. Er habe mit seiner Installation das Rotorblatt in ein Kunstwerk verwandelt, sagt Multimedia-Künstler Nayan Kulkarni. "Als fertige Skulptur ist es einfach wunderschön."

Aber hinter dem Projekt steckt noch viel mehr. Der Flügel ist einer der ersten, der im neuen Siemens-Werk in Hull produziert wurde. Jährlich sollen in der neuen Fabrik mit dazugehöriger Dockanlage Hunderte Teile für Windparks entstehen. Mit einer Investition von mehr als 300 Millionen Pfund (rund 350 Millionen Euro) kommt der deutschen Firma nicht nur bei der Arbeitsbeschaffung eine Schlüsselrolle zu. Ihre Unterstützung für das Kulturprojekt findet in der Rotorblatt-Skulptur ihren symbolischen Ausdruck. Industrie und Kultur sollen Hull auf der Suche nach einer neuen Identität helfen.

"Wir hoffen, bei Schulkindern und Jugendlichen wieder die Leidenschaft für industrielle Fertigung und Maschinenbau zu wecken", sagte Jason Speedy, Betriebsdirektor bei Siemens, der Deutschen Presse-Agentur. Nicht nur deshalb wandern wöchentlich vier Schulklassen zum Victoria Square, um das fünf Meter hohe Industrie-Kunstwerk zu bestaunen. Die Forschungszusammenarbeit mit der örtlichen Universität ist angelaufen, Partnerschaften mit Schulen sind eingeleitet, und eine Fachschule für Maschinenbau, auf der jährlich 120 Schüler zwischen 14 und 18 Jahren ihren Abschluss machen können, wird im September eröffnet. "Wir werden bald talentierten Nachwuchs in der Pipeline haben", freut sich Speedy.

Seine Produktionsanlage, so groß wie 78 Fussballplätze, soll noch vor Ostern den Schichtbetrieb rund um die Uhr aufnehmen. Von rund 1000 Arbeitsplätzen sind 800 besetzt. Es habe einen Ansturm von etwa 23 000 Bewerbungen gegeben. Fast alle der erfolgreichen Bewerber haben ihren Wohnort im Umkreis von 50 Kilometern.  Die Lehrlingsausbildung sei eine Schlüsselstrategie, sagte Speedy. Er vermutet, dass sich durch die Ansiedlung von Siemens Lohnniveau und Arbeitsbedingungen in der Region schon jetzt verbessert haben. "Wir sehen eine Sogwirkung."

Mit dem Optimismus des Betriebsleiters und dem ganzjährigen Kulturfestival, das 32 Millionen Pfund kosten soll, könnte sich die 250 000-Einwohner-Stadt eigentlich im Aufwind sehen. Im Hafenviertel sprießen Kunstgalerien und Cafés aus dem Boden, die größte Gemäldegalerie der Stadt - die Ferens-Galerie - glänzt nach der Renovierung mit neuen Schmuckstücken. Erstmals in Hull ist in der Universität eine Ausstellung von Zeichnungen von "Dürer bis Degas, Michelangelo bis Matisse und Rembrandt bis Riley" zu sehen. Im April wollen Musiker bei einem Nordischen Festival die Hängebrücke Humber Bridge mit den "heimlichen" Tönen von Meer, Wind und Natur erklingen lassen.

Allerdings gibt es da noch etwas anderes: das Brexit-Votum. Jeder zweite Einwohner Hulls hatte im Juni 2016 für "Leave" gestimmt. Diese Begleitmusik schafft Unsicherheit, trotz allem Optimismus. "Wir haben über die nächsten drei Jahre ein volles Auftragsbuch", sagte der Siemenssprecher Guy Dorrell der dpa. "Das ist eine ausgezeichnete Lage. Aber wir brauchen Klarheit von der Regierung. Wir sind in einem  dynamischen Umfeld, das sich verändert, und wir werden uns den Bedingungen anpassen, die sich ergeben."

Siemens-Mitteilung zu Hull

Kulturhauptstadt Hull