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Wütender Schriftsteller "Federball" von John le Carré: Spionage in der Brexit-Ära

John le Carré hat mit 88 viel Wut im Bauch. Er wettert gegen die "absolute Idiotie" des Handelns von Donald Trump und die Brexit-Politik des britischen Premiers Boris Johnson. Diese Wut verarbeitet er in seinem neuen Roman.

Von Andrej Sokolow, dpa 21.10.2019, 14:44

London (dpa) - Ein Spion mittleren Alters, eine diabolisch clevere Operation des russischen Geheimdienstes und eine niederträchtige Verschwörung - Fans von John le Carré kommen bei seinem neuen Roman "Federball" auf ihre Kosten.

Doch darüber hinaus ist es auch ein überaus aktuelles Buch: Es geht nicht einfach nur um Spionage, es geht um Spionage in Zeiten von Brexit und Trump.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf als Nat, ein britischer Geheimdienstler, der auf die 50 zugeht, nach vielen Jahren als Agentenführer unter diplomatischer Tarnung nach London zurückkehrt. Sein neuer Job in der Heimat fühlt sich an wie ein Abstellgleis. Ein Lichtblick sind Pläne, das Londoner Haus eines ukrainischen Oligarchen mit Russland-Kontakten zu verwanzen - und Nats Badminton-Spiele mit Ed, einem jungen Mann, der eines Tages scheinbar aus dem Nichts auftaucht und ihn zu einem Match herausfordert.

Beim Bier nach den Spielen macht Ed keinen Hehl aus seinen politischen Ansichten: Er glaubt, dass sich Großbritannien mit dem "beschissenen Chaos" des Brexits in uneingeschränkte Abhängigkeit von den USA begibt, und hält US-Präsident Donald Trump "für eine Bedrohung der gesamten zivilisierten Welt". Und Ed verspürt akuten Handlungsbedarf: "Entweder ist Europa am Arsch oder jemand mit Eiern in der Hose findet ein Mittel gegen Trump", verkündet er einmal. Das wird kein gutes Ende nehmen mit Ed, kommt dem Leser recht früh in den Sinn.

"Ich kann nur sagen, ich liebe dieses Buch, was nicht immer der Fall ist", sagt le Carré. "Es würde mir nichts ausmachen, wenn es schlechte Kritiken bekäme. Ich habe einfach das Gefühl, dass es ein gutes Buch ist." Für ihn habe es die Frage aufgeworfen, was Überzeugungen in der heutigen Welt bedeuten: "Glaubt irgendjemand noch an irgendetwas?"

Zugleich lässt le Carré schnell erkennen, wie sehr die wütenden Worte über Brexit und Trump sich mit seinen eigenen Überzeugungen decken. Er beklagt - wenn auch in etwas vornehmeren Worten als Ed im Buch - die "absolute Idiotie" von Trumps Handeln, das noch lange nachwirken wird, egal, ob es um Außenpolitik oder die Klimakatastrophe geht. Genauso wenig hält er vom britischen Premier Boris Johnson, der "sofort gestoppt" werden müsse. "Er wird von denselben Impulsen wie Trump angetrieben. Er hat Narzissmus zu einer Kunstform gemacht." Johnson sei ein typisches Produkt der Elite-Hochschule Eton, in der Studenten nicht beigebracht werde, zu regieren, sondern nur gewinnen zu wollen. Le Carré hatte in den 50er Jahren einige Zeit in Eton unterrichtet.

Die einzige Hoffnung sei ein Aufbegehren der Anständigen, glaubt der 88-Jährige. "Das Problem mit unserer aktuellen Situation in Großbritannien ist, dass die anständigen Menschen keine Stimme gefunden haben. Wir haben keine erkennbare Führungsfigur." Wenn es jetzt ein neues Referendum gäbe, deute vieles darauf hin, dass sich die Mehrheit für einen Verbleib in der Europäischen Union entscheiden würde. "Also sind es Machtspiele gegen den Willen des Volkes", betont der Autor, der ein überzeugter Europäer ist und sich gerade einen irischen Pass besorgt - die Herkunft der Großmutter väterlicherseits macht es möglich. "Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich darüber nachgedacht, woanders zu leben."

Le Carré, der eigentlich David Cornwell heißt, hätte in einer alternativen Zeitlinie auf Nats Stelle als ausrangierter Agentenführer ankommen können. Doch der Verrat des russischen Schläfers Kim Philby, der Moskau praktisch die gesamten Interna des britischen Geheimdienstes lieferte, torpedierte seine Spionage-Karriere - zugleich konnte er sich nach dem Erfolg von "Der Spion, der aus der Kälte kam" mit Mitte 30 als Schriftsteller unabhängig machen. Le Carré verwandelte mit der Figur des widerwilligen Meisterspions George Smiley das Genre. Nach dem Ende des Kalten Krieges prangerte er in seinen Büchern immer wieder Missstände im Westen an, wie Korruption oder Menschenrechtsverletzungen im "Krieg gegen den Terror".

In der heutigen Lage sieht er die Spione von den politischen Wirren gelähmt. "Man kann keinen Geheimdienst ohne politische Führung der Regierung betreiben." Wenn etwa der britische Auslandsgeheimdienst MI6 zum Beispiel eindeutige Beweise für eine Verstrickung Trumps mit den Russen finden sollte - was würde damit passieren? "Die heutige Regierung will auf keinen Fall die Gunst der USA verlieren." Und weiter: "Würde man solches Material also an die CIA weitergeben? Oder für sich behalten?"

Die Sache ist, dass nach den Ereignissen der vergangenen Jahre kein von Schriftstellern erdachtes Komplott mehr unglaubwürdig erscheint.

Federball, Ullstein Verlag, übersetzt von Peter Torberg, 352 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3550200540