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Nach Anschlag in Kabul Abschiebungen von Afghanen vorerst nur in Ausnahmefällen

Nach dem schweren Anschlag in Kabul fährt die Bundesregierung die Abschiebungen nach Afghanistan zurück. Bis zur Neubewertung der Sicherheitslage in dem Land sollen nur bestimmte Personen zwangsweise zurück müssen. Die Opposition will einen vollständigen Stopp.

01.06.2017, 19:01

Berlin (dpa) - Nach dem schweren Terroranschlag in Kabul will die Bundesregierung Afghanen vorerst nur in begrenzten Fällen in deren Heimat zurückschicken. Das Auswärtige Amt werde zunächst eine Neubewertung der Sicherheitslage vornehmen.

Das sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder. Bis diese vorliege und die deutsche Botschaft in Kabul wieder voll funktionsfähig sei, solle es Abschiebungen von Afghanen nur in bestimmten Fällen geben. Unklar ist aber, wie eng oder weit dies ausgelegt wird. Der Opposition reicht das nicht: Sie forderte erneut einen kompletten Abschiebestopp.

Zurückgeschickt werden sollen laut Merkel weiter Straftäter und sogenannte Gefährder - also Menschen, denen die Sicherheitsbehörden einen Terrorakt zutrauen. Das Gleiche gelte auch für Menschen, die "hartnäckig ihre Mitarbeit an der Identitätsfeststellung" verweigerten, sagte die Kanzlerin. Weitere Details nannte sie dazu nicht. Das neue Lagebild solle bis Juli vorliegen.

Die Explosion einer Lastwagenbombe in Kabul am Mittwoch hatte mindestens 90 Menschen getötet. Etwa 460 wurden verletzt, ein Gebäude der deutschen Botschaft schwer beschädigt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte daraufhin einen für Mittwoch geplanten Abschiebeflug abgesagt und betont, an der generellen Haltung ändere sich nichts. Der Flug solle bald nachgeholt werden.

Auch Merkel hatte am Donnerstagvormittag lediglich eine Neubewertung der Sicherheitslage und eine genaue Prüfung der Einzelfälle in Aussicht gestellt, nicht aber eine Beschränkung der Abschiebungen.

Von vielen Seiten - von Linken, Grünen, Menschenrechtsgruppen, aber auch aus der SPD - kam jedoch die eindringliche Forderung, Abschiebungen nach Afghanistan sofort und komplett zu stoppen. Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatte gemahnt: "Ich glaube, dass wir im Lichte der Ereignisse des gestrigen Tages zunächst einmal nicht weiter abschieben sollten." Erst auf Basis einer neuen Sicherheitsbewertung sei zu entschieden, ob und wann Abschiebungen wieder aufgenommen werden könnten. Zurzeit seien sie "kein vertretbares Instrument", bis auf Fälle von "Gefährdern".

Die Union ging in der Frage nun also auf die SPD zu - möglicherweise, um eine Koalitionskrise wenige Monate vor der Bundestagswahl zu vermeiden. Nach der Entscheidung der Bundesregierung unterbrach der Bundestag seine Plenarsitzung für Sonderfraktionssitzungen.

Aus der Union war zu hören, CDU und CSU hätten eingelenkt, weil in der SPD größere Teile der Fraktion signalisiert hätten, dass sie ansonsten einem Grünen-Antrag für einen Abschiebestopp zugestimmt hätten. Die Union selbst sieht in dem Schritt aber kaum eine Veränderung. De Maizière machte in der Sitzung seiner Fraktion nach Teilnehmerangaben deutlich, dass es mit der Entscheidung de facto beim Vorgehen der vergangenen Zeit bleibe. Schon länger wurden keine Kinder und Frauen nach Afghanistan abgeschoben.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte nach einer Sondersitzung der Abgeordneten, der grauenvolle Anschlag habe "bei der SPD-Fraktion dazu geführt, dass wir eine neue Lage sehen".

Der Opposition geht das Vorgehen der Regierung längst nicht weit genug. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte der "Heilbronner Stimme" (Freitag): "Die Abschiebungen nach Afghanistan müssen nicht nur ausgesetzt, sondern gestoppt werden." Das forderte auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: "Es muss einen Abschiebestopp geben. Dieses Land ist nicht sicher." Sie warf der Regierung einen Eiertanz in der Frage vor.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl begrüßte die Beschränkung zwar, beklagte aber, die Unterscheidung zwischen Straffälligen und Nicht- Straffälligen sei fragwürdig. Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt sagte der Deutschen Presse-Agentur, nun müssten auch die mehr als 32 000 abgelehnten Asylanträge aus den ersten Monaten des Jahres neu bewertet werden. Sie basierten noch auf einer alten Lagebewertung.

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