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Was der "Durchbruch" bedeutet Auf dem Weg zum sanften Brexit?

Es ist wie eine Operation am offenen Herzen: Großbritannien erlebt gerade, wie schwierig es ist, sich nach Jahrzehnten von der Europäischen Union zu lösen. Rückt eine Lösung näher? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa 14.11.2018, 19:46

Brüssel/London (dpa) - Gelingt ein sanfter Brexit ohne großes Chaos für Bürger und Unternehmen? Nach monatelangen nervenaufreibenden Verhandlungen steht zumindest endlich ein Text für das Abkommen über den britischen EU-Austritt.

Ein "guter Deal" für Großbritannien sei das, sagte die britische Premierministerin Theresa May am Mittwoch. In London bekam sie zwar sofort heftigen Gegenwind - doch die erste Runde ging am Abend an die Regierungschefin: Nach einer schier endlosen Sitzung billigte ihr Kabinett den Deal. Wenn es aber wirklich klappen soll mit einer gütlichen Trennung, muss bis zum Brexit-Tag am 29. März 2019 noch viel passieren. Und es kann noch einiges schiefgehen.

Was ist jetzt überhaupt neu?

Experten von EU und Großbritannien haben sich auf den Text eines Scheidungsabkommens geeinigt. Wird es von allen politischen Ebenen abgesegnet, ist der Weg frei für eine geordnete Trennung. Der Vertrag soll eine Übergangsfrist bis Ende 2020 bringen, in der sich fast nichts ändert und in der beide Seiten in Ruhe ihre künftigen Beziehungen regeln können.

Das Abkommen verspricht unter anderem Rechtssicherheit, dass EU-Bürger in Großbritannien und Briten auf dem Kontinent auch nach dem Brexit weitgehend wie bisher weiterleben können. Außerdem ist eine Schlussrechnung für britische Zahlungen an die EU vereinbart, die sich über einige Jahre hinweg auf geschätzt um die 45 Milliarden Euro belaufen sollen. Dritter zentraler Punkt: An der der Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland soll es auch künftig keine Kontrollen oder Schlagbäume geben, um keine politischen Unruhen durch eine Teilung der Insel zu riskieren.

Was war denn das Problem?

Vieles war bereits in Eckpunkten vor einem Jahr vereinbart, darunter die Rechte der Bürger und die Finanzen. Bis zuletzt umstritten war dagegen die Irland-Frage, obwohl man auch dafür im Dezember 2017 eine Lösung gehabt zu haben glaubte. Damals war vereinbart: Nordirland sollte - wenn man keine bessere Lösung findet - auch nach dem Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der Europäischen Zollunion eng an die EU-Regeln angebunden bleiben, damit man Waren und Menschen nicht an der neuen EU-Außengrenze zu Irland kontrollieren muss. Diese Absprache, die von der EU und Großbritannien unterschiedlich ausgelegt wurde, hielt aber nicht. Vor allem die nordirische Partei DUP, die die britische Regierung stützt, wollte einen Sonderstatus für Nordirland unter allen Umständen vermeiden, um nicht vom Rest des Landes abgekoppelt zu werden.

Worin besteht jetzt die Einigung?

Nach dem, was bisher bekannt ist, soll Großbritannien notfalls und vorläufig nach der Übergangsfrist als Ganzes in einer Zollunion mit der EU bleiben. Gemeinsame Standards sollen sichern, dass sich die Briten keine unfairen Standortvorteile verschaffen oder mit importierten Billigwaren durch die Hintertür Irland den EU-Binnenmarkt fluten - denn den will Großbritannien ja nach der Übergangsphase verlassen, um wirtschaftlich freie Hand zu bekommen. Wie bisher schon soll es einige Sonderregeln für Nordirland geben, etwa für Lebensmittelkontrollen zum Seuchenschutz.

Das alles ist eine Notfall- beziehungsweise Garantieklausel, im Englischen "Backstop" genannt. Sie gilt für den Fall, dass man bei der Gestaltung der künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien keine bessere Lösung findet. Die Bedingungen dieser künftigen Partnerschaft sind offen. Dazu soll vor dem Austritt nur eine recht knappe politische Erklärung beschlossen werden. Der Vertrag soll in der Übergangsphase ausgehandelt werden.

Geht das in London durch?

Das ist sehr ungewiss. Schon die Zustimmung des Kabinetts kostete May am Mittwoch Stunden, sie sprach von einer sehr schwierigen Entscheidung. Am Donnerstag will sie im Unterhaus sprechen, und dort ist der Widerstand groß. Für die DUP ist der Kompromissvorschlag schwierig, weil einzelne Bestimmungen eben doch nur für Nordirland gelten würden. Auch die Brexiteers haben große Bauchschmerzen: Die Befürworter eines glatten Bruchs befürchten, das Provisorium könnte zur Dauerlösung werden. Ein einseitiger Ausstieg Großbritanniens wäre ausgeschlossen. Zudem kritisieren sie, dass Großbritannien - solange der Backstop in Kraft ist - keinerlei Mitspracherecht über die EU-Regeln haben wird, denen es unterworfen wird. May wirbt dennoch dafür in der Erkenntnis, dass ein chaotischer Brexit im März für Bürger und Unternehmen sehr schädlich wäre.

Was meint die EU dazu?

Die Botschafter der 27 bleibenden EU-Staaten berieten ihrerseits am Mittwoch stundenlang über den Textvorschlag. Schon vor der Sitzung hieß es aber, in Brüssel dürfte es keine größeren Schwierigkeiten für den Deal geben - sofern er in London durchgeht.

Wie geht es jetzt weiter?

Nach der Zustimmung des britischen Kabinetts beraten in Brüssel in den nächsten Tagen die EU-Staaten über den Vertragstext. Halten sie und EU-Unterhändler Michel Barnier die Ergebnisse für ausreichend, könnte EU-Ratschef Donald Tusk zum Brexit-Sondergipfel am oder kurz nach dem 25. November laden. Danach bliebe die größte Hürde: die Abstimmung im britischen Parlament.

Übersicht über die Verhandlungsergebnisse bei Bloomberg

Offizielle Informationen der EU-Kommission zu den Brexit-Verhandlungen