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Analyse Brexit und kein Ende? - Die Uhr tickt

Vor dem Brexit-Gipfel am Mittwoch geht Premierministerin May nochmal Klinken putzen in Berlin und Paris, telefoniert mit Kollegen in ganz Europa. Kein Wunder: Für Großbritannien und die EU steht viel auf dem Spiel.

Von Irmgard Kern, Silvia Kusidlo und Teresa Dapp, dpa 09.04.2019, 14:21

London/Berlin (dpa) - Die Zeit wird knapp für Theresa May. Einen Tag vor dem EU-Sondergipfel, drei Tage vor dem Brexit-Datum ist sie auf Werbetour für eine zweite Fristverlängerung.

Vielleicht hat sie es deswegen so eilig, dass sie ein paar Minuten zu früh bei Kanzlerin Angela Merkel auf der Matte steht. Oder vielmehr auf dem roten Teppich vor dem Kanzleramt.

Noch keiner da - also geht May schon mal rein. Um punkt 12 kommt die Kanzlerin dazu, nach einer herzlichen Begrüßung gehen die beiden noch einmal kurz raus für die wichtigen Händedruck-Fotos. Was in den eineinhalb Stunden danach besprochen wird, bleibt erst mal geheim.

Nach Berlin will May noch bei Präsident Emmanuel Macron in Paris vorbeischauen, der einem erneuten Brexit-Aufschub bisher besonders kritisch gegenübersteht. Unterdessen dringt aus Luxemburg aber bereits die Nachricht nach London, dass die EU-Staaten nach Angaben von Diplomaten grundsätzlich bereit seien, Großbritannien einen weiteren Brexit-Aufschub zu gewähren. Über Dauer und Bedingungen werde aber noch geredet, hieß es nach einem Ministertreffen.

Zumindest eines ist schon klar: Wenn May sich am Mittwoch in Brüssel mit den Staats- und Regierungschefs der 27 übrigen EU-Staaten trifft, wird eine Entscheidung fallen. Und sie wird weitreichende Konsequenzen haben. So kann die schier unendliche Brexit-Geschichte weitergehen:

EIN HARTER BRUCH - ODER EINIGUNG IN LETZTER MINUTE

Der Gipfelbeschluss muss auf einstimmig fallen. Sagt auch nur einer aus der inzwischen reichlich genervten 27er-Runde Nein, ist ein Chaos-Brexit am Freitag um Mitternacht mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche kaum noch zu verhindern - es sei denn, der Brexit-Deal, den May mit der EU ausgehandelt hatte, wird in London vor Fristablauf kurzfristig doch noch abgesegnet. Doch dass das heillos zerstrittene britische Parlament das in letzter Minute noch schaffen könnte, glaubt kaum mehr jemand. Schließlich hat das Unterhaus schon dreimal "No" gesagt.

Zwar verhandelt die Regierung seit vergangener Woche mit der Labour-Opposition, um trotz der vielen Abweichler in den eigenen Reihen eine Mehrheit zu bekommen - doch bisher gibt es keine deutlichen Signale der Annäherung. Die EU hatte klargemacht, eine Verlängerung sei nur drin, wenn Großbritannien einen glaubhaften und nachvollziehbaren Weg dafür aufzeichnen kann, wie der Austritt geordnet vonstatten gehen soll.

Macron hatte sich mehrfach skeptisch zu einem weiteren Aufschub geäußert. Die EU könne nicht dauerhaft "Geisel" einer politischen Krisenlösung in Großbritannien sein. Ähnlich zweifelnd gab sich Österreichs Kanzler Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP. Für einen Aufschub gebe es "aus derzeitiger Sicht (...) überhaupt keinen Grund", sagte er Mitte vergangener Woche. "Es gibt keinen klaren Weg, der mehrheitsfähig ist im britischen Unterhaus."

Eine rote Linie haben die EU27 jedenfalls gezogen: Es komme nicht in Frage, den fast 600 Seiten dicken und in ebenso zahllosen wie mühsamen Runden ausgehandelten Brexit-Vertrag nochmals aufzuschnüren. Das hat May akzeptiert. Anders ist das bei der Politischen Erklärung zu den künftigen Beziehungen zu Großbritannien - die ließe sich wohl relativ zügig überarbeiten.

KURZER AUFSCHUB BIS ZUM 30. JUNI

Doch wie viel Zeit sollen die Briten noch bekommen? May will den Aufschub möglichst kurz halten und hat deshalb bei der EU nur eine Verlängerung um zweieinhalb Monate bis zum 30. Juni beantragt. Damit müssen die Briten die Teilnahme an der Europawahl zumindest vorbereiten. Mays Kalkül: Gelingt rechtzeitig vor dem ersten Wahltag am 23. Mai doch noch der Befreiungsschlag, könnte London die im Land nur schwer zu vermittelnde Wahlteilnahme der Briten kurzfristig abblasen.

LÄNGERER AUFSCHUB

EU-Ratschef Donald Tusk hat einen ganz anderen Plan. Aus seiner Sicht würde eine kurze Verlängerung die Gefahr bergen, dass womöglich bald wieder über eine nochmalige Verlängerung entschieden werden muss. Er schlägt deshalb ein flexibles Modell vor: Die Briten sollen bis zu zwölf Monate Zeit bekommen, um einen Kompromiss zu schmieden, der für alle Seiten tragbar ist. Wenn es früher klappt, dürfen sie auch früher gehen. Am Dienstag gab es Spekulationen, dass die EU-Staaten eine Deadline bis Ende dieses Jahres anbieten könnten.

Die Kehrseite der Medaille: Die Hängepartie ginge dann wohl noch eine ganze Weile weiter. Bei einer langen Fristverlängerung müssten die Briten am 23. Mai zudem auf jeden Fall an der Europawahl teilnehmen. Diese Vorstellung schmeckt auch vielen in der EU nicht. Die Briten könnten dann weiter über die Finanzen der Gemeinschaft mitentscheiden, die sie eigentlich schnellstmöglich verlassen wollen.

AUFSCHUB BIS ZUM SANKT-NIMMERLEINSTAG?

Und dann gibt es noch diejenigen, die fürchten - oder hoffen, dass Großbritannien womöglich ewig - mehr oder weniger eng - an die EU gebunden bleiben könnte, wenn erst einmal ein sehr langer Aufschub beschlossen ist. Vor allem den Brexit-Hardlinern graut davor, dass es in London zu einem Kompromiss kommen könnte, der einen Verbleib des Landes in der Zollunion vorsieht, was Handelsabkommen mit Staaten außerhalb der EU unmöglich machen würde.