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Analyse Brexit: Was geht noch?

Theresa May hat keine Mehrheit für ihre Brexit-Politik - nicht für den mit der EU ausgehandelten Deal, aber auch nicht für ihr Taktieren. Das Unterhaus setzt ein Signal. Aber was soll es bedeuten?

Von Verena Schmitt-Roschmann, Christoph Meyer und Silvia Kusidlo, dpa 13.03.2019, 20:33

London/Brüssel (dpa) - Das britische Parlament will das Abkommen zum Brexit mit der Europäischen Union nicht - aber eine Mehrheit will auch nicht ohne Vertrag aus der EU ausscheiden.

So viel ist seit Mittwochabend klar. In einem Überraschungscoup stimmten die Abgeordneten sogar mit knapper Mehrheit dafür, das gefürchtete No-Deal-Szenario ohne weitere Bedingungen und auch für die Zukunft auszuschließen.

Ein denkwürdiges Votum, widerspricht es doch der erklärten Linie von Premierministerin Theresa May, die sich diese Option als Druckmittel weiter in der Hinterhand halten wollte. Und doch bleibt die zentrale Frage unbeantwortet: Was nun, Britannia?

Denn eine einfache Meinungsäußerung des Unterhauses gegen das Ausscheiden ohne Vertrag stoppt diesen noch nicht - darauf wies eine Sprecherin von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Abend noch einmal hin. EU-Unterhändler Michel Barnier hatte kurz vorher sogar orakelt: "Das Risiko eines "No Deal" ist so hoch wie nie zuvor." Nötig sei eine konsensfähige Alternative, sonst sei ein ungeregelter Brexit quasi unausweichlich.

Doch genau diese konstruktive Lösung fehlt bisher. Deshalb dürften die Abgeordneten im nächsten Schritt am Donnerstag zunächst über eine mögliche Verschiebung des Brexit-Termins entscheiden. Das wäre ein Zeitgewinn - aber immer noch kein Ausweg aus der Krise. Ein Überblick über mögliche Szenarien:

VERSCHIEBUNG DES BREXITS

Die Verlängerung der zweijährigen Austrittsfrist über Ende März hinaus ist nach Artikel 50 des EU-Vertrags durchaus möglich und politisch letztlich auch wahrscheinlich. Allerdings müssten die 27 bleibenden EU-Staaten einen britischen Antrag einstimmig billigen. Und die wollen ein solches Anliegen nach eigenem Bekunden nicht einfach durchwinken.

"Die EU27 wird eine glaubwürdige Begründung für eine mögliche Verlängerung und ihre Dauer erwarten", ließ EU-Ratspräsident Donald Tusk erklären. In dieselbe Richtung lief nach Angaben von Diplomaten auch eine Debatte der EU-Botschafter am Mittwoch. Vorstellbar seien nur drei Gründe, sagte ein Diplomat der Deutschen Presse-Agentur: Zeit für die Ratifizierung des bisher abgelehnten Austrittsvertrags in Großbritannien; für die Vorbereitung auf einen No Deal; oder für ein Referendum oder eine Neuwahl auf der Insel.

Eine Hürde ist der Termin für die Europawahl vom 23. bis 26. Mai: Als EU-Mitglied müsste Großbritannien am 2. Juli neu gewählte Abgeordnete zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments schicken. Erwogen werden deshalb nach Angaben von Diplomaten zwei Varianten: eine kurze Verlängerung um wenige Wochen - in der Hoffnung auf eine Wende oder Lösung in London. Oder eine längere Verschiebung als eine Art Denkpause. May hat sich schon entschieden: Sie will nur eine kurze Verschiebung bis zum 30. Juni.

May bekannte selbst, dass eine Verschiebung "ohne Plan" die Probleme kaum mindern würde. Niemand kennt eine Alternative zu dem abgelehnten Abkommen, und in wenigen Wochen wäre auch kein neues auszuhandeln. Wozu also soll die Verlängerung dienen, fragt auch die EU. Entschieden werden könnte beim EU-Gipfel Ende nächster Woche.

ABSAGE DES BREXITS

Der Europäische Gerichtshof hat den Weg aufgezeigt: Die britische Regierung könnte ihren 2017 gestellten Austrittsantrag einseitig zurückziehen. Das gilt jedoch als unwahrscheinlich. Nötig wäre wohl ein zweites Referendum, um so eine Kehrtwende zu legitimieren. May ist strikt dagegen und warnt vor einem Vertrauensverlust in die Demokratie, nachdem die Briten 2016 mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt hatten.

Die Labour-Opposition ist für eine neue Volksabstimmung, doch hat die Idee keine Mehrheit im Unterhaus. Einige in der EU sehen das trotzdem als Option. Am Mittwoch sprachen sich nicht nur CSU-Vize Weber, sondern auch Europapolitiker von SPD und Grünen dafür aus, das britische Volk noch einmal zu fragen. EU-Kommissionschef Juncker sieht eine gestiegene Wahrscheinlichkeit, dass der Brexit ausfällt.

BREXIT OHNE VERTRAG

Sowohl May als auch die EU stemmen sich wegen des befürchteten Chaos für Wirtschaft und Bürger gegen dieses Szenario. Doch May sieht die Lage erstaunlich ähnlich wie ihr EU-Verhandlungspartner Barnier: "Der vorgesehene rechtliche Weg bleibt, dass Großbritannien die EU ohne Deal verlässt, es sei denn, etwas anderes ist vereinbart." Wenn Großbritannien und die EU nicht aktiv die Bremse ziehen, endet die britische EU-Mitgliedschaft automatisch am 29. März um 24.00 Uhr Brüsseler Zeit. Auch im britischen EU-Austrittsgesetz ist dieses Datum als Brexit-Termin festgeschrieben und müsste gestrichen werden. Die Zeit dafür zerrinnt. Am Mittwoch waren es nur noch 16 Tage.