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Eine Frage der Ehre Bundesregierung wehrt sich gegen Erdogan

Lautsprecher gegen Leisetreter: Lange Zeit war der Streit um die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland ein ungleiches Duell, in dem nur eine Seite attackierte. Jetzt fängt die Bundesregierung an, sich zu wehren.

Von Michael Fischer, dpa 15.03.2017, 18:30
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht in der Provinz Afyonkarahisar vor seinen Anhängern. Foto: Kayhan Ozer
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht in der Provinz Afyonkarahisar vor seinen Anhängern. Foto: Kayhan Ozer Pool Presidential Press Service/AP

Berlin (dpa) - Antidemokratisch, Nazi-Methoden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Unterstützung von Terroristen: Warum lässt sich die Bundesregierung all diese Vorwürfe der türkischen Regierung im Streit um Wahlkampfauftritte gefallen?

Das wird sich so mancher in den vergangenen Tagen gefragt haben. Bisher lautete die Devise von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Keine Beteiligung an einem "Wettbewerb der Provokationen". Jetzt macht ihr Kanzleramtsminister Peter Altmaier klar, dass man sich nicht alles gefallen lassen wird. Er droht der türkischen Regierung.

Warum gerade jetzt?

Die Verbalattacken der türkischen Regierung gegen Deutschland haben eine neue Dimension erreicht. Erst wurde der Bundesregierung nur antidemokratisches Verhalten vorgeworfen, dann folgten die Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. Am Montagabend griff Präsident Recep Tayyip Erdogan die Bundeskanzlerin persönlich an. "Verehrte Merkel, Du unterstützt Terroristen", sagte Erdogan. Und: "Schande über Dich!"

Womit droht Altmaier?

Mit einem Einreiseverbot, so wie es die niederländische Regierung gegen türkische Wahlkämpfer verhängt hat. Die Bundesregierung hat bisher auf ein solches Verbot verzichtet. Dafür gibt es zwei Gründe: Sie fordert selbst von der Türkei Meinungsfreiheit und will deswegen nicht in den Verdacht geraten, diese Freiheit in Deutschland in irgendeiner Weise zu beschränken. Außerdem geht die Regierung davon aus, dass ein Einreiseverbot Erdogan im Wahlkampf eher nutzen würde.

Treffen diese Gründe jetzt nicht mehr zu?

Doch. Aber mit den persönlichen Angriffen auf Merkel scheint die Schmerzgrenze überschritten zu sein. "Die Türkei legt immer großen Wert darauf, dass die Ehre ihres Landes nicht verletzt wird. Auch Deutschland hat eine Ehre!", sagt Altmaier.

Hat die Bundesregierung schon vorher eine rote Linie gezogen?

Ja. "Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf", sagte Außenminister Sigmar Gabriel Anfang vergangener Woche nach einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Er meinte die Nazi-Vergleiche, die aufhören müssten.

Hat sich die türkische Regierung davon beeindrucken lassen?

Nein. Cavusoglu verteidigte die Nazi-Vergleiche nur kurze Zeit später. Und auch Erdogan denkt gar nicht daran, davon abzulassen. "Der Geist des Faschismus geht um in den Straßen Europas", sagte er erst am Mittwoch wieder bei einer Rede in einer zentraltürkischen Provinz. Auch von der Drohung eines Einreiseverbots wird sich Erdogan deswegen wohl kaum beeindrucken lassen. Der Konflikt mit den EU-Staaten nutzt ihm im Wahlkampf um die Verfassungsreform, die ihm mehr Macht geben soll. Das hat für Erdogan derzeit absolute Priorität.

Will er selbst in Deutschland auftreten?

Er behält sich einen solchen Auftritt jedenfalls vor. "Wenn ich will, dann komme ich auch", sagte er vor einigen Tagen. "Und wenn Ihr mich nicht durch die Türe lasst oder mich nicht reden lasst, dann werde ich die Welt aufstehen lassen."

Was wäre, wenn Erdogan seine Nazi-Vergleiche in Deutschland wiederholen würde?

Das könnte gegen das Strafgesetzbuch verstoßen. Nach Paragraf 90a macht sich strafbar, wer Deutschland oder seine Verfassung "beschimpft oder böswillig verächtlich macht". Ihm drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Auf diesen Paragrafen weisen sowohl Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) als auch das Auswärtige Amt im Zusammenhang mit dem Wahlkampfstreit hin. Erdogan würde als Staatsoberhaupt allerdings Immunität genießen und wäre vor Bestrafung geschützt.

De Maizière im "Bericht aus Berlin" der ARD

Paragraf 90a Strafgesetzbuch

Reisehinweise der Bundesregierung zur Türkei