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Analyse Der Kampf nach der Schlacht: Irak vor massiven Problemen

In den vergangenen Monaten konzentrierte sich im Irak alles auf den Kampf gegen den IS in Mossul. Auch wenn er dort besiegt wurde, ist das geschundene Land von Frieden und Stabilität weit entfernt.

Von Jan Kuhlmann, dpa 10.07.2017, 18:58

Mossul (dpa) - Iraks Regierung feiert ihre Truppen. Nach rund neun Monaten haben die Armee und ihre Verbündeten die IS-Hochburg Mossul vollständig eingenommen. Doch dieser Sieg ist, wenn überhaupt, nur ein erster Schritt in Richtung einer besseren Zukunft dieses geschundenen Landes.

Der Irak steht vor massiven Problemen. Nur wenn sie gelöst werden, kann das Land befriedet werden. Ansonsten droht sogar ein weiterer Zerfall des ohnehin schwachen Staates.

Problem 1: Der Islamische Staat

Die Extremisten haben zwar ihre größte Hochburg im Irak verloren, sind aber noch lange nicht besiegt. Iraks Regierungskräfte müssen noch die Städte Tel Afar und Hawidscha einnehmen, auch an der Grenze zu Syrien stehen weiterhin IS-Kämpfer. Aber selbst wenn die Extremisten von dort vertrieben werden, ist der IS nicht zerschlagen. Die verbliebenen Dschihadisten dürften untertauchen und auf eine Guerilla-Taktik setzen. Zu Terroranschlägen sind sie ebenfalls weiterhin in der Lage. Auch die Ideologie des IS lebt weiter.

Problem 2: Der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten

Die Schiiten stellen nicht nur die Bevölkerungsmehrheit, sondern dominieren auch die Regierung und die Ressourcen des ölreichen Landes. Die Sunniten - unter dem Diktator Saddam Hussein an der Macht - beklagen sich seit langem, dass sie an den Rand gedrängt werden.

Solange die Sunniten nicht stärker eingebunden werden und es keinen Ausgleich zwischen den beiden größten Konfessionen gibt, wird der sunnitische IS Sympathien in der Bevölkerung finden. Viele Sunniten wünschen sich autonome Regionen nach dem Vorbild der kurdischen Gebiete im Norden des Landes. Das lehnt die Zentralregierung ab.

Problem 3: Die schiitischen Milizen

Sie sind neben der Armee die militärisch mächtigste Gruppe im Land und haben starken Einfluss auf die Politik. Offiziell sind sie in die Sicherheitsstrukturen der Regierung eingebunden, tatsächlich aber führen sie ein Eigenleben, das vom großen Nachbarn, dem schiitischen Iran, finanziert und damit auch stark bestimmt wird.

Mit dem Kampf gegen den IS sind die Milizen bis weit in sunnitisches Kernland vorgedrungen. So kontrollieren sie das Umland von Mossul, für viele Sunniten eine Provokation. Regierungschef Haidar al-Abadi muss es gelingen, die Macht der Milizen zu beschneiden.

Problem 4: Der Wiederaufbau und die Hilfe für Vertriebene

Im Kampf gegen den IS sind große Regionen des Landes verwüstet worden. Besonders schwer hat es etwa den Westen Mossuls getroffen, wo ganze Viertel in Trümmern liegen. Die UN schätzen, dass sie allein dort bis zu 400 Millionen US-Dollar (358 Millionen Euro) für die wichtigsten Maßnahmen zum Wiederaufbau der Infrastruktur brauchen. Der Wiederaufbau des ganzen Landes dürfte Milliarden kosten.

Mehr als drei Millionen Menschen sind zudem mittlerweile im Irak vertrieben und brauchen dringend Unterstützung. "Die Kämpfe mögen vorbei sein, aber die humanitäre Krise ist es nicht", erklärte die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Irak, Lise Grande.

Problem 5: Die Korruption

Sie ist ein großes Hindernis für den Wiederaufbau des Landes. Kritiker werfen Vertretern der Regierung und des Staates schon seit langem vor, sie sähen ihre Hauptaufgabe darin, die eigenen Taschen zu füllen. Im Korruptionsindex von Transparency International steht der Irak auf Rang 166 von 176 Plätzen. In den vergangenen Monaten zogen im Irak immer wieder Menschen auf die Straße, um gegen die Korruption zu demonstrieren. Regierungschef Al-Abadi will sie nach eigener Aussage bekämpfen, kann aber bisher keine Erfolge vorweisen.

Problem 6: Die umstrittenen Gebiete

Im Norden des Iraks gibt es große Regionen, um die sich die Zentralregierung in Bagdad und die Regierung der kurdischen Autonomiegebiete in Erbil streiten. Kurdische Peschmerga-Kämpfer konnten während der Kämpfe mehrere Gebiete unter Kontrolle bringen, darunter die ölreiche Stadt Kirkuk.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Kurden von dort wieder abrücken. Bislang haben beide Seiten den Streit bis auf die Zeit nach der Einnahme Mossuls vertagt. Sollten die Kontrahenten keine politische Lösung finden, wäre ein bewaffneter Konflikt möglich.

Problem 7: Das Unabhängigkeitsstreben der Kurden

Bereits jetzt genießen die Kurden in ihren Gebieten im Norden des Iraks große Autonomie. Kurden-Präsident Massud Barsani nutzte den Kampf gegen den IS, um die Abspaltung der Kurden vom Rest des Landes voranzutreiben. Durch die internationalen Waffenlieferungen an die Peschmerga sind die kurdischen Kämpfer aufgewertet worden.

Im September sollen die Kurden über die Unabhängigkeit in einem Referendum abstimmen. Zwar dürfte es für einen eigenen kurdischen Staat kaum internationale Anerkennung geben, doch würde ein Ja bei der Abstimmung die Fliehkräfte im Irak stärken.

UN-Daten zum Irak