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Mehr Worte als Taten Deutschlands Reaktion auf Erdogans Offensive

Die Empörung ist groß, die Bereitschaft zu konkreten Gegenmaßnahmen gering. Die Bundesregierung setzt vor allem auf politischen Druck, um Erdogans Syrien-Offensive zu stoppen. Die Opposition hält das für viel zu wenig. Und nicht nur die.

Von Michael Fischer, dpa 16.10.2019, 15:47

Berlin (dpa) - Was die Wortwahl angeht, lässt die deutsche Ablehnung der türkischen Syrien-Offensive kaum etwas an Deutlichkeit vermissen. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) verurteilt den Einmarsch "auf das Schärfste".

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) fordert vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unmissverständlich das Ende der Militäroperation. Weil es schon jetzt viele Tote gibt und Zehntausende auf der Flucht sind. Weil die Region weiter destabilisiert wird. Und weil die IS-Terroristen womöglich wieder gestärkt werden.

Die Empörung über den Militäreinsatz gegen die kurdische YPG-Miliz ist also groß. Vergleichsweise gering ist dagegen die Bereitschaft, Erdogan mit Strafmaßnahmen unter Druck zu setzen - so wie die USA es angekündigt haben. Die Opposition hält das einhellig für falsch. Das wird noch einmal deutlich werden, wenn der Bundestag sechs Tage nach Beginn der Offensive die Reaktion der Bundesregierung unter die Lupe nimmt.

Das hat die Regierung bisher gegen die Syrien-Offensive getan:

PROTESTE BEI DER TÜRKISCHEN REGIERUNG: Zuerst hat Maas seinen Kollegen Mevlüt Cavusoglu angerufen und dann Merkel lange mit Erdogan telefoniert. Dabei forderte sie "eine umgehende Beendigung der Militäroperation", und das "ungeachtet berechtigter türkischer Sicherheitsinteressen".

BEFASSUNG DES UN-SICHERHEITSRATS: Deutschland hat zusammen mit anderen europäischen Ländern eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zur Syrien-Offensive veranlasst. Ergebnis: Kein zählbares. Dass sich die in den Konflikt involvierten Vetomächte USA und Russland in dem wichtigsten UN-Gremium auf eine gemeinsame Haltung verständigen, ist auch eher unwahrscheinlich. Trotzdem haben die Europäer bereits eine weitere Sitzung beantragt.

GEMEINSAME EU-ERKLÄRUNG: Die EU-Außenminister haben sich am Montag bei ihrem Treffen in Luxemburg - unter Beteiligung von Maas - auf eine scharfe Verurteilung der Offensive verständigt, nicht aber auf gemeinsame Gegenmaßnahmen wie ein gemeinsames, umfassendes Waffenembargo oder die Drohung mit Wirtschaftssanktionen.

EINSCHRÄNKUNG DER RÜSTUNGSEXPORTE: Die einzige deutsche Sanktion gegen die Türkei wegen der Syrien-Offensive ist eine Einschränkung der Rüstungsexporte. Von der weiß man allerdings nicht, ob sie überhaupt greift. Es werden nun keine Exporte von Waffen mehr genehmigt, die in Syrien eingesetzt werden können. Das müsste aber eigentlich schon seit der ersten türkischen Syrien-Offensive 2016/17 oder spätestens seit dem zweiten Einmarsch 2018 gängige Praxis sein. Die Exportgenehmigungen sind zwischen 2016 und 2018 jedenfalls von 84 auf 13 Millionen Euro abgestürzt.

Das hat die Bundesregierung bisher nicht getan:

KOMPLETTER RÜSTUNGSEXPORTSTOPP: Das fordern nicht nur Grüne und Linke, sondern auch der CDU-Politiker und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen. Die Bundesregierung will aber weiter die Ausfuhr von Rüstungsgütern genehmigen, die nicht bei der Offensive eingesetzt werden können. Das können zum Beispiel Lieferungen an die Marine sein, die ein guter Kunde der deutschen Rüstungsindustrie ist und alleine in den ersten vier Monaten dieses Jahres Kriegswaffen im Wert von mehr als 180 Millionen Euro erhalten hat. Auch bereits genehmigten Exporte können wie geplant über die Bühne gehen.

DECKELUNG ODER STOPP DER HERMES-BÜRGSCHAFTEN: Diese Hilfen sollen deutsche Exportunternehmen vor Verlusten durch das Ausbleiben von Zahlungen ihrer ausländischen Geschäftspartner schützen. 2018 war die Türkei nach Russland das Land, für das der höchste Betrag aus der Staatskasse dafür bereitgestellt wurde: 1,78 Milliarden Euro. Linke und Grüne fordern nun die Streichung dieser Hilfen, die FDP eine Deckelung.

KÜRZUNG VON FINANZMITTELN FÜR DIE TÜRKEI: Diese Forderung kommt aus der Linken und der AfD. Als EU-Beitrittskandidat stehen der Türkei Milliardenhilfen zu, alleine in den vergangenen beiden Jahren wurden 633 Millionen Euro ausgezahlt. Die Mittel sind bereits gekürzt worden, ganz eingestellt werden können sie aber nur bei einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Auf keinen Fall antasten will die Bundesregierung die 5,8 Milliarden Euro Hilfsmittel aus dem Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei. Im Gegenteil: Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wird darüber beraten, ob weitere Mittel fließen sollen. Hintergrund: Erdogan hat mehrfach damit gedroht, die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei über die Grenze nach Europa zu lassen.

SANKTIONEN GEGEN EINZELNE PERSONEN: Die USA haben Strafmaßnahmen gegen drei türkische Minister verhängt. Mögliches Vermögen der Betroffenen in den USA wird eingefroren. Solche Sanktionen kann sich auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, vorstellen. "Die EU sollte mit den USA abgestimmt bei personenbezogenen Sanktionen vorgehen", sagte er dem "Spiegel". Auch die FDP sympathisiert damit.

AUSSCHLUSS AUS DER NATO: Das haben Linksfraktionschef Dietmar Bartsch und die Grünen-Parlamentsvizepräsident Claudia Roth ins Gespräch gebracht. Im Bündnisvertrag ist das aber gar nicht vorgesehen und wäre daher hoch kompliziert. Abgesehen davon, hat das bisher noch kein Mitgliedsland gefordert.