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Zu viele bedrohte Politiker Polizeischutz gegen Rechts für zweite Reihe "nicht machbar"

Nach der Ermordung von Walter Lübcke wird einmal mehr der Ruf nach einer besseren Bewachung von Politikern laut. Doch das ist kaum möglich - es werden dafür einfach viel zu viele bedroht.

Von Christoph Driessen, dpa 19.06.2019, 12:22
Plakate der damaligen Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker hinter Absperrbändern der Polizei am Tatort. Foto: Oliver Berg
Plakate der damaligen Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker hinter Absperrbändern der Polizei am Tatort. Foto: Oliver Berg dpa

Altena/Köln (dpa) - Die Nachricht von dem mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke erschüttert viele Menschen - Andreas Hollstein vielleicht noch ein wenig mehr als andere.

Mit den Worten "Ich steche dich ab! Mich lässt du verdursten, aber holst 200 Ausländer in die Stadt" war vor zwei Jahren ein Mann mit einem Messer auf ihn losgegangen. Der Bürgermeister der Stadt Altena im Sauerland kam mit einer Verletzung am Hals davon. "Ich habe an die Familie von Herrn Lübcke gedacht, weil ich weiß, was das mit einem selbst und vor allem mit der Familie macht", sagt der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. "Das zweite war Dankbarkeit dafür, überlebt zu haben."

Henriette Reker entging 2015 vor ihrer Wahl zur Kölner Oberbürgermeisterin nur knapp dem Tod durch das Messer eines Rechtsradikalen. Der Attentäter sagte vor Gericht aus, er habe es eigentlich auf Angela Merkel abgesehen gehabt. Weil er an die gut bewachte Kanzlerin aber nicht herangekommen sei, habe er sich für Reker entschieden, die ähnlich freundlich zu Flüchtlingen sei.

Personenschutz gibt es in erster Linie für die höchsten Repräsentanten des Staates, nicht aber für Politiker aus der zweiten oder dritten Reihe. Kommunalpolitiker werden höchstens in Ausnahmefällen und vorübergehend geschützt. "De facto ist es nicht machbar", sagt ein Kriminalhauptkommissar, der ungenannt bleiben will und selbst einmal Bundesminister bewacht hat.

Der personelle Aufwand wäre schlicht zu groß - es gibt dafür einfach viel zu viele Politiker, die schon einmal bedroht worden sind, vor allem seit dem "Flüchtlingsjahr" 2015, in dem rund 900.000 Migranten nach Deutschland kamen. In einer nicht repräsentativen WDR-Befragung gaben 2017 mehr als 100 Oberbürgermeister, Bürgermeister, Landräte, Landtags- und Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen an, Erfahrungen mit Anfeindungen gemacht zu haben. Einige hatten Morddrohungen erhalten.

Die dadurch entstehende Belastung kann so groß sein, dass Menschen ihr politisches Engagement beenden. So trat 2016 der SPD-Vorsitzende im münsterländischen Bocholt, Thomas Purwin, zurück, nachdem auch seine Tochter und seine Lebensgefährtin Morddrohungen bekommen hatten.

Wenn die Polizei von einer ernst zu nehmenden Gefährdung ausgeht, kann sie die betreffende Person zwar für einige Zeit unter Schutz stellen. Das heißt aber nicht, dass die- oder derjenige dann wie die Kanzlerin von Personenschützern begleitet wird. Als etwa der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann 2016 nach der Veröffentlichung eines Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorübergehend Polizeischutz erhielt, stand ein paar Tage ein Streifenwagen bei ihm vor der Tür, wie es aus Polizeikreisen heißt.

Am ehesten denkbar ist noch eine Bewachung in bestimmten Lagen, die als potenziell gefährlich eingestuft werden. Lübcke wurde jedoch im privaten Bereich, abends auf der Terrasse seines Hauses, erschossen.

Bürgermeister Hollstein findet es verständlich, dass es nur für Spitzenpolitiker und akut Gefährdete Personenschutz geben kann. Allerdings meint er: "Wir müssen mehr über das Thema sprechen. Außenminister Maas, Ministerin von der Leyen, Cem Özdemir und ich haben vor einiger Zeit in Hamburg von Iris Berben und Dietmär Bär die Hassmails vortragen lassen, die wir bekommen haben. Da waren die Menschen schon sehr betroffen."

Auch würde er sich härtere Strafen für Beleidigungen oder Attacken etwa auf Verwaltungsmitarbeiter, Polizeibeamte oder andere Helfer wünschen. Hollstein selbst begegnet seinem Attentäter bis heute immer wieder auf der Straße - der Mann hat nur eine Bewährungsstrafe bekommen.

Kommunalpolitik zu machen kann Courage erfordern. Ein Beispiel dafür ist die Kölner Oberbürgermeisterin Reker, die heute wieder völlig unbefangen auf Menschen zugeht und kein Bad in der Menge scheut. Der Attentäter hatte sich ihr genähert, als sie im Wahlkampf Rosen verteilte. Noch lange danach wurde sie nachts von Alpträumen geplagt. Doch tagsüber verdrängt sie die bösen Gedanken, indem sie sich sagt, dass Anschläge in Deutschland immer noch sehr selten vorkommen und sie das Schicksal wohl kaum zweimal treffen wird.

"Denjenigen, die unsere offene und freie Gesellschaft bedrohen, muss klar sein, das wir keinen Zentimeter zurückweichen", sagt die 62 Jahre alte parteilose Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. "Das hat auch mich immer wieder motiviert - und tut es heute mehr denn je."

Personenschutz auf Bundesebene