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Analyse Schon wieder eine Krise in Europa

Als ob es keine anderen Krisen in Europa gäbe. Der Streit über eine zweite Amtszeit von EU-Ratspräsident Tusk hat die EU in einen neuen Konflikt gestürzt. Konsequenzen noch nicht absehbar

Von Thomas Lanig und Natalie Skrzypczak, dpa 09.03.2017, 20:40

Brüssel/Warschau (dpa) - Der Konflikt war absehbar, das Wort von der Erpressung machte die Runde. Um die Wiederwahl von EU-Ratspräsident Donald Tusk zu verhindern, hatte Polens nationalkonservative Regierung erst damit gedroht, den Gipfel in Brüssel platzen zu lassen.

Tusk wurde trotzdem bestätigt - gegen die Opposition aus seinem Heimatland. Dann fuhr Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo das schärfste noch mögliche Geschütz auf und blockierte die Abschlusserklärung.

Noch eine Krise in Europa. Brexit, der unberechenbare US-Präsident, Populisten auf dem Vormarsch, wichtige Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich vor der Tür. Und jetzt Krach mit Polen, wie es ihn noch nicht gegeben hat. Ob der Streit wirklich schwerwiegende Konsequenzen hat, war am Donnerstagabend allerdings noch nicht absehbar. Die polnische Regierungschefin kündigte zumindest an, am Freitag bei den Beratungen der 27 - diesmal ohne die Briten - dabei zu sein.

Schon am Mittwoch war Szydlo in Brüssel angereist, versuchte in bilateralen Gesprächen noch einmal, die Bestätigung ihres innenpolitischen Erzfeindes Tusks zu verhindern. Auch mit Kanzlerin Angela Merkel traf sie am Donnerstag zusammen. Die Atmosphäre des Gesprächs sei "sehr ordentlich" gewesen, hieß es, aber Merkel ließ sich nicht umstimmen. Die anderen auch nicht.

Mit großem Unverständnis wiesen Polens Partner die Vorstellung aus Warschau zurück, Tusk könne nur mit Zustimmung der polnischen Regierung bestätigt werden. "Nichts ohne uns, ohne unser Einverständnis", bekräftigte Szydlo mehrmals. Am Ende blieb sie isoliert. "Konsenssuche darf nicht zur Blockade missbraucht werden", warnte Merkel. Viele in Brüssel stellten sich am Abend die Frage, wie die Polen nun wieder von dem Baum herunterkommen wollen, auf den sie geklettert waren.

Es war kein Sieg für Europa, aber vor allem eine schwere Niederlage für die polnische Regierung, die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und ihren Chef Jaroslaw Kaczynski. "EU gegen PiS: 27:1", twitterte der frühere Außenminister und Kaczynski-Gegner Radoslaw Sikorski. Seit Monaten hatte die PiS Stimmung gegen Tusk gemacht. Auf den letzten Drücker stellte sie den Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski als Gegenkandidaten auf. Er war von Anfang an chancenlos.

Hinter der Anti-Tusk-Kampagne steckte auch der Ärger über die EU-Kritik an Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Und eine persönliche Fehde: Noch immer soll Polens eigentlicher politischer Strippenzieher Kaczynski dem ehemaligen Regierungschef Tusk die eigene Wahlniederlage 2007 nachtragen. Er wirft Tusk zudem vor, schuld an der angeblich mangelhaften Aufklärung des Flugzeugunglücks von Smolensk zu sein. Beim Absturz des Regierungsfliegers 2010 in Russland starb auch Kaczynskis Bruder, der damalige Präsident Lech Kaczynski.

In Warschau wie in Brüssel wurde am Abend spekuliert, ob Polens Regierende nun darauf aus sind, die Wiederwahl Tusks gegen ihren Willen doch noch für sich zu nutzen. "Sicher wird die PiS Profit daraus schlagen wollen, wenn Tusk letztendlich doch gewählt werden sollte", sagte die Politikwissenschaftlerin Agnieszka Lada in Warschau schon vor der Abstimmung. Gegenleistungen werde es nicht geben, hieß es kategorisch von EU-Diplomaten. Abwarten.