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Analyse Versöhnungsgipfel mit düsterer Schattenseite

Militärische Ehren, Staatsbankett, gleich zwei Treffen mit der Kanzlerin: Der türkische Präsident Erdogan wird in Berlin wie ein guter alter Freund empfangen. Doch nicht nur beim Fußball hört die Freundschaft auf.

Von Michael Fischer und Carsten Hoffmann, dpa 27.09.2018, 15:20
Diese Zeiten sollen vorbei sein: Die türkische Tageszeitung «Aksam» schmäht Angela Merkel mit einem Hakenkreuz, einem Hitler-Bart und der Schlagzeile: «Hitlers Überbleibsel». Foto: Linda Say
Diese Zeiten sollen vorbei sein: Die türkische Tageszeitung «Aksam» schmäht Angela Merkel mit einem Hakenkreuz, einem Hitler-Bart und der Schlagzeile: «Hitlers Überbleibsel». Foto: Linda Say dpa

Berlin (dpa) - Hochsicherheitszone Berlin: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat seinen Staatsbesuch in Deutschland im Schutz von Barrikaden, Scharfschützen und gepanzerten Fahrzeugen begonnen, die schon am Morgen rund um das Luxushotel Adlon am Brandenburger Tor in Stellung sind.

Heftige Kritik im Bundestag und die Forderung von Menschenrechtlern nach einer klaren Ansage empfangen den türkischen Gast. Vielen schmeckt nicht, wie dem autokratisch agierenden Politiker der rote Teppich ausgerollt wird - nach allem, was passiert ist.

Gerade mal ein Jahr ist es her, da sagte Erdogan das hier über Aussagen deutscher Spitzenpolitiker zur Türkei: "Was geschieht, ist Nazismus. Was geschieht, ist Faschismus." Es war nicht das erste Mal, dass der türkische Präsident die Nazi-Keule gegen Deutschland schwang. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel bekam sie persönlich ab. Irgendwie hatte man sich an die Schimpftiraden schon gewöhnt.

Zwölf Monate später kommt nun derselbe Recep Tayyip Erdogan nach Deutschland, und es wird ihm ein Empfang bereitet, als komme ein guter Freund zu Besuch. Am Schloss Bellevue wird die Bundeswehr für ihn stramm stehen und die türkische Nationalhymne spielen. Die einst geschmähte Merkel trifft sich gleich zweimal mit Erdogan: am Freitag zum Mittagessen und am Samstag zum Frühstück. So viel Zeit schenkt sie ihren Gästen fast nie. Höhepunkt des Berlin-Besuchs ist ein Staatsbankett zu Erdogans Ehren auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit mehr als 100 geladenen Gästen.

Zwölf Monate, zwei Welten. Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Und warum? Wenn man nach dem Ausgangspunkt für die Entspannungsphase in den deutsch-türkischen Beziehungen sucht, landet man bei Deniz Yücel. Der Reporter der Zeitung "Die Welt" war die Symbolfigur des deutsch-türkischen Zerwürfnisses. Ein Jahr saß er in einem Gefängnis bei Istanbul in Untersuchungshaft, weil die türkischen Behörden ihm Unterstützung von Terrororganisationen vorwarfen.

Seine Freilassung und Ausreise im Februar gelten als Beginn eines Normalisierungsprozesses in den deutsch-türkischen Beziehungen, der längst sehr konkrete Formen angenommen hat. Deutschland hat die Reisehinweise für die Türkei wieder etwas entschärft, die Deckelung der Hermes-Exportbürgschaften wurde aufgehoben. In der Türkei wurden weitere Häftlinge freigelassen.

Die Türkei hat aber in den vergangenen Jahren international viele Sympathien verloren, womöglich auch ein Minuspunkt bei der Entscheidung für die EM-Austragung, die für die Türkei am Donnerstag verloren ging, kaum dass Erdogan in Berlin gelandet war.

Die jetzige gegenseitige Besuchsserie, die mit einer Reise von Außenminister Heiko Maas in die Türkei begann und jetzt in dem Staatsbesuch gipfelt, soll aber die Weichen endgültig in Richtung Normalisierung stellen. "Wir sind verpflichtet, unsere Beziehungen auf Basis beiderseitiger Interessen und fern von irrationalen Befürchtungen vernunftorientiert fortzuführen", schreibt Erdogan zum Auftakt seines Besuchs in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Donnerstag. Und wenn es dann doch noch Differenzen geben sollte, müsse man "mit einem Höchstmaß an Empathie versuchen, unsere gegenseitigen Befindlichkeiten zu verstehen".

Erdogans gemäßigte Tonlage kommt nicht von ungefähr. Sie ist vor allem wirtschaftlich motiviert. Die Währungskrise in der Türkei, verstärkt durch US-Sanktionen, macht Erdogan schwer zu schaffen. Für ihn geht es nun darum, zum Beispiel die Verhandlungen über eine Erweiterung der Zollunion mit der Europäischen Union wieder in Gang zu bringen.

Die Probleme zwischen Ankara und Berlin sind aber alles andere als beseitigt. Die neue Harmonie in den deutsch-türkischen Beziehungen hat eine düstere Schattenseite. Fünf deutsche Staatsbürger sind weiter in der Türkei aus politischen Gründen in Haft. Hinzu kommen hunderte Oppositionelle, Journalisten, Menschenrechtler, die keinen deutschen Pass haben.

Daran werden Tausende, vielleicht Zehntausende Demonstranten in Berlin und Köln an diesem Freitag und Samstag erinnern. Politiker aller Oppositionsparteien protestieren gegen Erdogan, indem sie das Staatsbankett im Schloss Bellevue boykottieren. "Mit einem solchen Mann sollte man nicht feierlich dinieren", sagt zum Beispiel Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht. "Es ist völlig absurd, jemanden, der im eigenen Land die Demokratie abbaut und eine islamistische Diktatur errichtet, mit dem roten Teppich und allen Ehren zu empfangen. Damit stärkt man Erdogan den Rücken."

Der Ex-Grünen-Chef und Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir will an dem Staatsbankett für Erdogan - anders als andere Oppositionspolitiker teilnehmen. Dass Erdogan ein neues Kapitel aufschlagen wolle, habe einen einfach Grund. "Ich übersetze das mal ins Deutsche: "Ich brauche Geld. Ich habe Schulden. Mir steht das Wasser bis zum Hals. Helft mir!" Das ist das, was Erdogan auf gut Deutsch sagt", meint Özdemir. "Seiner Presse erzählt er es ein bisschen anders. Da sagt er: "Deutschland hat seinen Fehler eingesehen. Und wir sind bereit Deutschland zu vergeben." Nur damit wir wissen, wer uns hier besucht. Genau in der Tonlage sollten wir uns mit ihm unterhalten."