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Analyse Wahlkampf in Moll: Merkels Masche, Schulz' Schaden?

Die Kanzlerin ärgert sich angeblich nicht über Kritik der SPD. Sie wundert sich nur. Das ist ihre Methode: Möglichst nicht auf Vorwürfe eingehen. Mag sich weich anhören, ist aber knallharter Wahlkampf.

Von Christiane Jacke und Kristina Dunz, dpa 17.07.2017, 15:46

Berlin (dpa) - Angela Merkel gibt sich ahnungslos. "Ich weiß nicht, was Sie mit Masche meinen", sagt die Kanzlerin im ARD-Sommerinterview und unterdrückt ein Schmunzeln. Es geht um ihren Stil, Gegner ins Leere laufen und Kritik abperlen zu lassen.

So zum Beispiel: Für ihre Replik auf die Verbal-Attacke von SPD-Herausforderer Martin Schulz, sie halte mit Inhaltsleere Bürger vom Wählen ab und begehe so einen "Anschlag auf die Demokratie", brauchte sie genau zwei Wörter: "Schwamm drüber".

Ein anderes Beispiel: Den Vorwurf ihres Vizekanzlers Sigmar Gabriel (SPD), sie habe den G20-Gipfel in Hamburg zur Selbstinszenierung kurz vor der Bundestagswahl nutzen wollen, überhörte sie einfach. Ist sie wirklich nicht wütend? "Nee", sagt Merkel dazu. "Ehrlich gesagt, habe ich mich nicht geärgert. Ich habe mich dahingehend gewundert, weil er ja dabei war, weil er bei der Vorbereitung mitgeholfen hat."

Merkels Methode lässt Politiker in der SPD schier verzweifeln. Dort heißt es, die Sozialdemokraten hätten seit geraumer Zeit niemanden, der sich wie Merkel bei Kritik erst einmal tot stellt, einfach nicht reagiert, erst einmal abwartet. Diese Ruhe, diese Souveränität oder schlicht dieses dicke Fell habe Gabriel nicht, und Schulz auch nicht.

Man erinnere sich an den Sturm der Entrüstung in der Bevölkerung und der Union über Merkels Flüchtlingspolitik. Sie habe das ausgehalten. Und ausgesessen. So wie Helmut Kohl das tat. Oder man denke an den Jahresbeginn, als Schulz als frisch gekürter Kanzlerkandidat die Partei in Umfragen nach oben bugsierte und Merkel dem Mann unbeirrt Respekt zollte, weil er Menschen zum Zuhören bewege. Danach gewann die Union drei Landtagswahlen hintereinander.

In einem sollte sich aber niemand täuschen: Nur, weil Merkel nach außen keine Angriffspolitik betreibt, heißt das noch lange nicht, dass sie keinen Wahlkampf macht. Ganz im Gegenteil.

Der CDU-Vorsitzenden kommt ihre Macht als Regierungschefin und ihr internationaler Ruf als verlässliche, konstante und einflussreiche Politikerin zu Gute. Von dieser Warte aus lässt sich manches süffisant kommentieren. Über den Vergleich der Vorstellungen von Union und SPD zur Digitalisierung etwa merkte sie großzügig an: "Es ist doch schön, wenn es sich deckt mit dem, was die SPD auch will." Sie hätte auch Schulz demaskieren können und sagen, dass seine Ideen für digitale Bürgerportale längst von Bund und Ländern beschlossen sind. Tut sie aber nicht.

Bei den Sozialdemokraten mischt sich Frust mit Ratlosigkeit darüber, dass Merkel mit ihrer Art so gut durchkommt. Schulz hat in den vergangenen Wochen ein Konzept nach dem anderen vorgelegt: Bildung, Inneres, Rente, Steuern, am Sonntag schließlich seinen "Zukunftsplan". Er macht und tut, er ackert und strampelt. Aber es bringt alles nicht viel. In den Umfragen liegt die SPD weit hinter der Union. Merkel dagegen schadet es in der Welt der Zahlenkolonnen nicht, dass sie sich mit konkreten Positionen zurückhält.

Schulz wurmt es maximal, dass Merkel damit derart gut fährt. Aber sie frontal anzugreifen, fällt ihm schwer. Schulz ist keiner, dem die miese Attacke liegt. Für Hau-drauf-Aktionen müssen andere her. Gabriel etwa. Dessen Wutausbruch gegen Merkel und die Union rund um die G20-Debatte ("verlogen", "perfide", "doppelzüngig", "infam", "böse") sprach Schulz später moderater und etwas unbeholfen nach.

Nur mit seinem "Anschlag auf die Demokratie" ließ sich Schulz bislang zu einer ähnlich markigen Wortwahl hinreißen. Besonders gut bekam es ihm nicht. Es hagelte Kritik. Was für den SPD-Chef womöglich der große Befreiungsschlag werden sollte, endete in einer Diskussion über politische Verhältnismäßigkeit und verbale Fehltritte.

Schulz steckt in einem Dilemma. Merkel ist beliebt, sie vergreift sich nicht im Ton, verzichtet auf persönliche Attacken. Er hat als EU-Parlamentspräsident viel mit ihr zusammen angestoßen. In den vergangenen Jahren haben Union und SPD ohnehin gemeinsame Sache gemacht. Sich davon abzugrenzen, ist schwierig. Schulz muss Merkel aber angreifen, wenn er sie ablösen will. Er hat die Umfragen im Nacken - und Genossen, die ihn zu mehr Attacke im Wahlkampf drängen.

Merkel hat jede Menge Koalitionsoptionen, und sie hält sich alles offen: Fortsetzung der großen Koalition, wieder Schwarz-Gelb, erstmals Schwarz-Grün oder Jamaika mit Union, FDP und Grünen. Denn Merkel weiß auch: Die Entscheidung der Wähler, ob ohne die Union regiert werden kann, kann trotz aller guter Umfrageergebnisse knapp werden. Im Saarland fehlte im Frühjahr nur wenig, dann wäre die Christdemokratin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht Ministerpräsidentin einer großen Koalition geblieben, sondern Rot-Rot-Grün wäre ans Ruder gekommen. Die Grünen scheiterten nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde.

Für Rot-Rot-Grün im Bund sieht es derzeit denkbar schlecht aus. Auch ansonsten hat Schulz nicht gerade viele Optionen - neben einer weiteren Runde großer Koalition. Das gibt auch der Linken zu denken. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch fordert Schulz auf, er müsse eine große Koalition ausschließen. Und noch eine Botschaft hat Bartsch: Schulz müsse endlich gegen Merkel Wahlkampf machen. Nur wie?

Wahlprogramm von CDU und CSU

Wahlprogramm der SPD

Zukunftsplan von Martin Schulz

ARD-Sommerinterview mit Merkel