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Fragen und Antworten Was brächte eine Widerspruchslösung?

Beim Gedanken, einmal auf eine fremde Leber angewiesen zu sein, hofft wohl jeder, eine zu bekommen. Doch hierzulande fehlen Spenderorgane. Deswegen schlagen Parlamentarier einen radikalen Systemwechsel vor.

Von Sascha Meyer, dpa 01.04.2019, 16:14

Berlin (dpa) - Es ist eine sehr persönliche Entscheidung: Würde ich nach meinem Tod Organe für andere Menschen spenden, die vielleicht dringend darauf warten? Ganz allgemein halten das inzwischen viele für sinnvoll - schieben die vorgeschriebene klare Zustimmung dazu aber immer wieder auf.

Die Folge: In Deutschland gibt es trotz allen Werbens viel zu wenig Spender. Der Bundestag will deshalb die Regeln ändern, um mehr lebensrettende Organe für Schwerkranke zu sichern. Doch wie weit kann und soll man gehen? Eine Gruppe Abgeordneter um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat jetzt einen ersten Entwurf ausgearbeitet - ein gegensätzlicher zweiter soll aber bald folgen.

Was plant die Gruppe um Spahn?

Die Parlamentarier von Union, SPD, Linken und Grünen machen sich für eine radikale Umkehr der geltenden Rechtslage stark: Wird bisher ein ausdrückliches "Ja" zu einer Spende verlangt, soll man künftig ebenso ausdrücklich "Nein" sagen müssen, um kein Spender zu sein. Dafür soll ein zentrales Register kommen, in dem man einen Widerspruch speichern lassen kann - vorerst in der Arztpraxis, bald dann wohl auch online. Ärzte sollen das Register rund um die Uhr abrufen können, wenn eine Transplantation infrage kommt. Gibt es dort keinen Eintrag, soll der nächste Verwandte gefragt werden, ob er einen "entgegenstehenden Willen" des Verstorbenen kennt oder um ein schriftliches Nein weiß - etwa einen Organspendeausweis oder einen Zettel in einer Schublade.

Warum so ein starker Eingriff?

"Es sterben jedes Jahr um die 2000 Menschen auf der Warteliste", sagt SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach. Und Spahn betont: "Jeder von uns könnte morgen einer sein, der auch wartet." Die bisherige Regelung samt regelmäßiger Info-Schreiben der Krankenkassen habe aber nicht gefruchtet. Zwar bewerten laut einer Umfrage für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mehr als 80 Prozent Organspenden als positiv - einen Spenderausweis als Nachweis der Bereitschaft hat demnach aber nur gut ein Drittel der Bürger. Die Reform soll daher wenigstens erreichen, dass sich jeder wirklich mit der Grundsatzfrage beschäftigt. Es gehe ethisch um eine kleine Pflicht, die aber einen großen Nutzen für die Gesellschaft schaffe, argumentiert Lauterbach.

Was ist zur Information der Bürger geplant?

Die Initiatoren sehen eine große Aufklärungskampagne vor, die auch mehr Nachdruck entfalten soll als bisherige Informationen. Neben Info-Blättern und Plakaten sollen deswegen alle Meldepflichtigen ab 16 Jahre - rund 70 Millionen Bürger - im Abstand einiger Monate drei mal per Post angeschrieben werden. Das sei bei Rechtsänderungen wie Kindergelderhöhungen sonst ja nicht so, erläutert Spahn. Hier gehe es aber um fundamentale Änderungen, die jeder kennen solle. Damit es Zeit für Informationen gibt und das Register entstehen kann, sollen die neue Regeln erst ein Jahr nach der Gesetzesverkündung greifen.

Was würde sich für Angehörige ändern?

"Entscheidend ist der Wille des möglichen Organ- und Gewebespenders", heißt es im Gesetzentwurf. Das bisherige eigene Entscheidungsrecht eines nächsten Angehörigen soll daher gestrichen werden - Verwandte sollen nur noch gefragt werden, ob sie von einem Widerspruch wissen. Das soll Angehörige davon entlasten, in einer Trauersituation eine so schwere Entscheidung zu treffen, argumentieren die Initiatoren. Bei Patientenschützern stößt das auf deutliche Kritik. "Es ist falsch, die Angehörigen zu reinen Vermittlern abzuwerten", sagt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Das entlaste sie nicht und verstärke eher ein Misstrauen in der Bevölkerung.

Wie geht es weiter?

Mit der Präsentation der Pläne geht die Diskussion in die nächste Phase, bis der Bundestag am Ende in offener Abstimmung entscheidet. Bei einer ersten Debatte waren im Herbst breite Vorbehalte gegen eine Widerspruchslösung deutlich geworden. Und parallel arbeitet eine Gruppe Abgeordneter um Grünen-Chefin Annalena Baerbock an einem entgegengesetzten Konzept mit verbindlichen regelmäßigen Befragungen. Bürger sollen Erklärungen zur Organspende dann beim Ausweisabholen – also spätestens alle zehn Jahre – in ein Register eintragen können. Dafür sollen Ämter Info-Material ausgeben, aber nicht selbst beraten. Lauterbach bezweifelt, dass so etwas über Bürgerämter funktionieren würde. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery hebt hervor, dass es um ein hochsensibles Thema geht. Notwendig sei daher "eine besonnene Diskussion mit Respekt für die Ängste und Argumente der Gegenseite".

Gesetzentwurf für "doppelte Widerspruchslösung"

Rechtliche Grundlagen von Organspenden in Deutschland

Position Grünen-Chefin Baerbock

Position CSU-Abgeordneter Pilsinger

Organspende-Zahlen für 2018

Gesetz für bessere Organspende-Bedingungen in Kliniken

Bisherige Regelung zur Einwilligung in Organspenden

Bisherige Regelung zu Angehörigen