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Steigende Corona-Zahlen Kliniken und Labore sollen vor Engpässen geschützt werden

Der Teil-Lockdown im November soll die zweite Corona-Welle brechen und Schlimmeres verhüten. Das zielt nicht zuletzt auf den sensiblen Bereich des Gesundheitswesens, aus dem erste Alarmmeldungen kommen.

Von Basil Wegener, Gisela Gross und Sascha Meyer, dpa 03.11.2020, 19:06
Daniel Bockwoldt
Daniel Bockwoldt dpa

Berlin (dpa) - Angesichts der rasant zunehmenden Corona-Infektionen sollen Krankenhäuser und Testlabore vor bedrohlichen Engpässen bewahrt werden.

"Um die Pandemie im Griff zu behalten, mussten wir die Notbremse ziehen", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Dienstag in Berlin mit Blick auf die bundesweiten Beschränkungen im gesamten November. Labore warnten vor einer Überlastung ihrer stark hochgefahrenen Kapazitäten und forderten zielgenaueres Testen. Mit Blick auf die Intensivstationen pochten Spahn und Mediziner auch auf Klarheit, wie viele dringend benötigte Pflegekräfte verfügbar sind.

Spahn sagte, bei der "Mammutaufgabe", die Ausbreitung einzudämmen, sei der Höhepunkt noch nicht erreicht. Wenn die Gesundheitsämter Infektionen nicht mehr nachverfolgen könnten, gewinne das Virus jeden Tag weiter an Schrecken. "Das wollen wir nicht zulassen." Der Vizepräsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lars Schaade, sagte: "Wir sind noch mitten im Marathon." Die Zahl neuer Corona-Fälle habe sich zuletzt binnen zehn Tagen verdoppelt. "Wenn das genau so weiterginge, hätten wir bis Weihnachten über 400 000 gemeldete Neuinfektionen pro Tag." Am Dienstag gab das RKI 15 352 gemeldete neue Corona-Infektionen innerhalb eines Tages bekannt.

Die "Jahrhundertpandemie" erfordere besonders im Gesundheitswesen eine nationale Kraftanstrengung, betonte Spahn. Erste Alarmmeldungen gibt es schon - Lösungsansätze zum Gegensteuern aber auch.

DIE TESTS: Die Testkapazität sei bundesweit erstmalig zu 100 Prozent ausgereizt, teilte der Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin auf Basis von Daten aus 162 Laboren mit. Inzwischen sei "die rote Ampel überfahren" worden. Bei einer weiteren Überflutung mit Proben oder einem möglichen Geräte- oder Personalausfall drohe ein Zusammenbruch der Versorgung. Nötig sei, die Kapazitäten von nunmehr 1,4 Millionen Tests pro Woche auf dringliche Fälle zu konzentrieren. Immer noch würden aber zu viele PCR-Tests ohne Symptome gemacht.

Das RKI erläuterte, je höher die Fallzahlen seien, desto schwieriger werde es, alle Menschen mit Erkältungssymptomen zu testen. Gebraucht würden dann mehr als drei Millionen Tests pro Woche - dies sei weder nötig noch erforderlich, sagte Vizechef Schaade. Deshalb habe das RKI die Empfehlungen an Ärzte zu den Testkriterien angepasst - Faktoren seien etwa Symptome, die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe und die Wahrscheinlichkeit, dem Coronavirus ausgesetzt gewesen zu sein.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte, dass wegen Staus in Laboren Altenheimbewohner bis zu fünf Tage auf Testergebnisse warten müssten. Das sei nicht hinnehmbar, sagte Vorstand Eugen Brysch. Es sei sicherzustellen, dass Pflegebedürftige nicht länger als 24 Stunden warten. Auch müssten jetzt Test-Privilegien im Profisport fallen. Es könne nicht sein, "dass überforderte Labore mehrfach in der Woche Ergebnisse liefern müssen, damit die Bundesliga läuft".

DIE KLINIKEN: Ein Kernproblem sei der seit Jahren bekannte Mangel an Fachpflegepersonal auf den Intensivstationen, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Uwe Janssens. "Die Corona-Pandemie verstärkt dieses Problem wie ein Brennglas." Dabei nehme die Zahl der Covid-19-Intensivpatienten stark zu - von 362 am 1. Oktober auf nun 2243. Es gebe auch deutlich mehr Covdid-19-Patienten auf normalen Stationen - bis zu ein Drittel davon würden noch intensivpflichtig.

Um einen täglich aktuellen Überblick zu haben, wurde im Frühjahr ein bundesweites Pflicht-Register eingeführt - doch wie verlässlich sind die Angaben? Hinweise und Stichproben zeigten, dass mitunter Betten als frei gemeldet würden, für die gar kein Pflegepersonal verfügbar sei, sagte Janssens. Er und Spahn machten deutlich, dass dies aber klare Maßgabe für die Kliniken beim Melden verfügbarer Betten sei.

Die Kliniken traten Zweifeln entgegen. Stand heute seien rund 21 500 Intensivbetten belegt und 7500 als verfügbar gemeldet, erläuterte die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Personal, um die Betten umfänglich betreiben zu können, sei selbstverständlich auch aus Normalstationen hinzuzuziehen. Die Zahl von 7500 freien Betten im Register heiße nicht, dass dort Personal stehe und darauf warte, dass Patienten kämen. Denn es gebe auch andere Patienten mit dringendem Behandlungsbedarf. Es gehe daher um standortbezogene kontinuierliche Personal-Umschichtung.

DAS SCHWEIZER-KÄSE-PRINZIP: Anti-Corona-Maßnahmen zielen darauf, sich zu ergänzen. Dieses Prinzip nennt Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung das Schweizer-Käse-Modell. "Es besagt, dass jede Scheibe Käse Löcher hat." Sie seien also nicht perfekt. Das gelte auch für Regeln zu Abstand, Hygiene, Masken und Lüften, für das Nachverfolgen von Kontakten und Antigentests. "Aber wenn wir die alle hintereinanderschalten, können wir uns immer besser vor diesem Virus schützen." Gleichzeitig würden Maßnahmen verbessert.

Wenig Verständnis habe sie, wenn jemand diese Maßnahmen einfach ablehne. "Ich empfehle doch auch dem Automechaniker nicht, wo der Motor am Auto ist, das er reparieren soll." Dabei sollten sich aus Sicht der Virologin am Besten alle an die Regeln halten: "Wenn 100 Prozent mitmachen, dann ist der Light-Lockdown kürzer."

Corona ist aus Sicht Brinkmanns fast gefährlicher als ein Virus, das alle Infizierten schwer krank mache. "Denn die bleiben zu Hause und stecken niemanden an." Dadurch, dass viele Menschen nicht so stark erkrankten, bewegten sie sich frei und nähmen sich nicht zurück. "Sie merken ja gar nicht, dass sie infiziert sind." Auch Spahn, der nach einer mehrtägigen Quarantäne wegen einer eigenen Corona-Infektion erstmals wieder öffentlich auftrat, kennt nach eigenen Angaben die Quelle nicht: "Ich wäre einer von diesen 75 Prozent, die nicht sagen können, wo es passiert ist."

© dpa-infocom, dpa:201103-99-197599/3

RKI-Schema Testkriterien und Maßnahmen