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"Tödliche Lücke" Private Retter setzen Einsätze im Mittelmeer aus

Die Stimmung gegen die privaten Seenotretter im Mittelmeer hat sich in den vergangenen Monaten zunehmend verschlechtert. Nun sehen sich einige Hilfsorganisationen gezwungen, ihre Rettungseinsätze auszusetzen. Nicht nur aus Sicherheitsgründen.

13.08.2017, 16:54
Flüchtlinge warten in einem überladenen Boot auf Helfer. Foto: Bram Janssen
Flüchtlinge warten in einem überladenen Boot auf Helfer. Foto: Bram Janssen AP

Rom (dpa) - Wegen Sicherheitsrisiken im Mittelmeer vor Libyen unterbrechen einige Hilfsorganisationen ihre Missionen zur Rettung von Migranten. Einen Tag nach der Ankündigung von Ärzte ohne Grenzen zogen am Sonntag die deutsche Organisation Sea Eye und später auch Save the Children nach.

"Grund dafür ist die veränderte Sicherheitslage im westlichen Mittelmeer", teilte die Regensburger Gruppe Sea Eye mit. Ärzte ohne Grenzen hatte erklärt, von der zentralen Seenotrettungsleitstelle in Rom (MRCC) eine konkrete Warnung erhalten zu haben. Save the Children will ihr Schiff so lange im Hafen von Malta lassen, bis es Klarheit über die Sicherheitslage gibt.

"Für NGOs wird das Klima auf dem Mittelmeer immer feindseliger. Das wird eine riesige Lücke in die Such- und Rettungskapazitäten reißen und Menschenleben fordern", twitterte Ärzte ohne Grenzen. Wie Sea Eye bezog sich die Organisation auf Berichte, wonach libysche Behörden ihre Kontrolle auf internationale Gewässer ausweiten wollen und diese Ankündigung mit einer expliziten Drohung gegen die humanitären Schiffe verknüpften.

"Nachdem die libysche Küstenwache in der Vergangenheit schon öfter auf Flüchtlingsboote und auch auf Rettungsschiffe geschossen hat, können wir dieses Risiko nicht mehr auf uns nehmen und dieses Gebiet weiterhin befahren. Das sind wir unseren Crews, der Sicherheit unserer Leute schuldig", sagte Sea-Eye-Sprecher Hans-Peter Buschheuer der Deutschen Presse-Agentur. Die Hilfsorganisation sprach von einer "tödlichen Lücke" im Mittelmeer, weil die Chance auf Rettung nun geringer wird. Dieses Jahr starben bereits mehr als 2400 Menschen auf der Route.

Die libysche Küstenwache bekräftigte ihren Vorwurf, dass einige Organisationen mit Schleppern zusammenarbeiteten. "Wir haben keine Beweise. Aber es ist schon merkwürdig, dass keine Flüchtlingsboote unterwegs sind, wenn die libysche Küstenwache auf See ist, aber Schiffe dieser Organisationen in der Nähe sind", sagte der Sprecher Ajub Kasim der Deutschen Presse-Agentur. Die Anweisung an ausländische Schiffe, nicht in die von Libyen eigenmächtig erweiterte Such- und Rettungszone für die Boote mit Migranten einzudringen, stimme mit internationalem Recht überein.

Die spanische Proactiva Open Arms will dagegen weiterretten. "Für uns ändert sich nicht viel im Vergleich zu den vergangenen Wochen", sagte Riccardo Gatti der Zeitung "La Repubblica". "Wir werden unsere Rettungseinsätze ohne Pause fortführen." Nach Angaben der Organisation war ihr Schiff in der vergangenen Woche im Mittelmeer von der libyschen Küstenwache mit Warnschüssen bedrängt worden.

Für Ärzte ohne Grenzen scheint die Sicherheit nicht der einzige Beweggrund zu sein, die Mission der "Vos Prudence" zu unterbrechen. "Das Problem ist die absurde und rücksichtslose politische Linie der italienischen Regierung und von Europa, um das Migrationsproblem zu lösen", sagte Stefano Argenziano, der für Ärzte ohne Grenzen Migrations-Projekte koordiniert, "La Repubblica". "Die Libyer können ohnehin bereits mit der Unterstützung Europas und Italiens machen, was sie wollen. Wir wollen nicht Teil dieses illegalen, abartigen und unmenschlichen Mechanismus sein." Ein medizinisches Team werde aber an Bord des Rettungsschiffs "Aquarius" von SOS Méditerranée bleiben.

Seit Anfang August unterstützt die italienische Marine die libysche Küstenwache technisch und logistisch. Die Regierung in Rom erhofft sich von dem Einsatz, dass weniger Migranten nach Italien kommen - und die Zahlen sprechen dafür: In den ersten zwei Augustwochen sind bislang erst etwas mehr als 1700 Menschen in Italien angekommen. Im gesamten Juli waren es 11 459, im Juni noch 23 526.

Ärzte ohne Grenzen forderte die EU und insbesondere Italien auf, von Strategien abzusehen, die "Menschen in einem Bürgerkriegsland einsperren, ohne deren Bedürfnisse nach Schutz und Unterstützung in Betracht zu ziehen". Sea-Eye-Sprecher Buschheuer warf der EU vor, die Lage "massiv verschlimmbessert" zu haben. "Sie haben dieses Regime (...) mit unendlich viel Geld ausgestattet, damit die die Drecksarbeit für die EU machen." Es sei davon auszugehen, dass dies die Flüchtlinge nicht davon abhalte, sich auf den Weg zu machen.

Der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos forderte unterdessen eine "strengere und effektivere Politik für Rückführungen", wie er den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte. "Das ist ein unverzichtbarer Aspekt einer gut funktionierenden Migrationspolitik." Migranten, die keinen internationalen Schutz benötigten, in ihre Heimatländer zurückzuschicken, sei unerlässlich, um das öffentliche Vertrauen in das Asylsystem der EU zu wahren.

MSF-Mitteilung

Sea Eye

Sea-Eye-Mitteilung

Die Flüchtlingskrise auf dem Mittelmeer

Ein Mitarbeiter der spanischen NGO «Proactiva Open Arms» hebt vor der libyschen Küste ein Kind aus einem überfüllten Flüchtlingsboot. Foto: Santi Palacios
Ein Mitarbeiter der spanischen NGO «Proactiva Open Arms» hebt vor der libyschen Küste ein Kind aus einem überfüllten Flüchtlingsboot. Foto: Santi Palacios
AP
Aus Seenot gerettete Migranten warten auf den Transfer von einem zivilen Schiff im Mittelmeer auf das Rettungsschiff «Aquarius». Foto: Lena Klimkeit
Aus Seenot gerettete Migranten warten auf den Transfer von einem zivilen Schiff im Mittelmeer auf das Rettungsschiff «Aquarius». Foto: Lena Klimkeit
dpa
Sie haben überlebt: Ein Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration kniet neben Flüchtlingen, die von Schleppern ins Meer geworfen worden waren. Foto: IOM/Internationale Organisation für Migration
Sie haben überlebt: Ein Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration kniet neben Flüchtlingen, die von Schleppern ins Meer geworfen worden waren. Foto: IOM/Internationale Organisation für Migration
Internationale Organisation für Migration
Ein Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kniet an einem Strand im Jemen neben dem Leichnam eines ertrunkenen Flüchtlings. Foto: IOM
Ein Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kniet an einem Strand im Jemen neben dem Leichnam eines ertrunkenen Flüchtlings. Foto: IOM
Internationale Organisation für Migration
Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Foto: Guardia Costiera
Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Foto: Guardia Costiera
Guardia Costiera
Kapitän und Offizier des Rettungsschiffs «Aquarius» blicken auf das Mittelmeer. An Deck des Schiffs sind bereits Migranten zu sehen, die zuvor an Bord von Einsatzkräften der Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee gerettet wurden. Foto: Lena Klimkeit/Archiv
Kapitän und Offizier des Rettungsschiffs «Aquarius» blicken auf das Mittelmeer. An Deck des Schiffs sind bereits Migranten zu sehen, die zuvor an Bord von Einsatzkräften der Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee gerettet wurden. Foto: Lena Klimkeit/Archiv
dpa
Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Archivbild Foto: Santi Palacios
Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Archivbild Foto: Santi Palacios
AP
Michael Buschheuer, Initiator von Sea Eye, auf dem neuen Kutter der Initiative. Foto: Stefan Sauer
Michael Buschheuer, Initiator von Sea Eye, auf dem neuen Kutter der Initiative. Foto: Stefan Sauer
dpa-Zentralbild