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Längere Pause steht bevor 160 neue Windräder auf dem Meer - Politik bremst Wachstum

An Land ist der Ausbau der Windenergie schon fast zum Erliegen gekommen, auf See steht eine ähnliche Entwicklung bevor. Die Windkraftlobby fordert von der Politik, die Ausbau-Fesseln zu lockern.

Von Eckart Gienke, dpa 23.01.2020, 10:39

Berlin (dpa) - Der Ausbau der Windenergie auf See ist im vergangenen Jahr noch einmal vorangekommen, steht aber nun vor einer längeren Pause.

Insgesamt gingen 2019 in Deutschland auf dem Meer 160 neue Windkraftanlagen mit einer Leistung von 1,11 Gigawatt neu ans Netz, teilten mehrere Verbände der Windindustrie am Donnerstag in Berlin mit. Angeschlossen wurden ganz oder teilweise die Windparks Merkur, EnBW Hohe See, Deutsche Bucht und Trianel - alle in der Nordsee. Auf der Ostsee kamen keine neuen Anlagen hinzu. Damit sind nunmehr 1469 Windräder mit einer Kapazität von 7,5 Gigawatt auf der deutschen Nord- und Ostsee installiert.

Im laufenden Jahr werden nur noch wenige Anlagen neu ans Netz kommen, weil keine größeren neuen Projekte mehr begonnen wurden. Das ist die von der Industrie beklagte Ausbaulücke. Am Ende dieses Jahres könnte sich dann die Kapazität der Offshore-Anlagen auf rund 7,7 Gigawatt belaufen. Gute Offshore-Windkraftwerke schöpfen ihre Nennleistung unter den aktuellen Bedingungen zu rund 60 Prozent aus. Damit ersetzt die gesamte deutsche Offshore-Windenergie real etwa vier große Atom- oder Kohlekraftwerke.

Die Industrie und die Betreiber würden gern mehr bauen, sehen sich aber durch die Politik gebremst. "Die Bundesregierung muss in einem ersten Schritt freie Kapazitäten von bis zu zwei Gigawatt vergeben, um die Folgen der Ausbaulücke für die heimische Industrie abzufedern", forderten die Verbandsvertreter. Im Koalitionsvertrag ist ein nicht bezifferter "Sonderbeitrag" der Offshore-Windenergie vereinbart, um die Klimaziele der Regierung zu erreichen. Dieser Punkt wurde bislang von der Regierung nicht eingelöst.

Zudem fordert die Branche im Einklang mit der norddeutschen Politik und den Gewerkschaften seit Jahren, den bestehenden Ausbau-Deckel für 2030 von 15 auf mindestens 20 Gigawatt anzuheben und danach einen steileren Ausbaupfad als bisher zu beschließen. Sonst drohten Engpässe und zeitliche Verwerfungen. Die Regierung hatte diese Forderung bereits aufgegriffen, dann aber aus dem Gesetzentwurf zum Kohleausstieg wieder gestrichen. Für 2035 sei eine Offshore-Kapazität von 30 bis 35 Gigawatt erforderlich, die bis 2050 auf mehr als 50 Gigawatt ansteigen müsse, meinen die Verbände. Das wären nach der erwarteten Entwicklung der Technik rund 5000 Windräder. Mehr könnten Nord- und Ostsee nach Einschätzung von Naturschützern und anderen Experten auch nicht verkraften.

"Nach der Klarheit beim Ausstieg aus dem Kohlestrom brauchen wir einen ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien, um den fehlenden Strom zu ersetzen", erklärten die Verbandsvertreter. Wegen der langen Projektzyklen von Offshore-Windparks sei langfristige Planungssicherheit von hoher Bedeutung, so dass schon jetzt der Ausbau der Offshore-Windenergie bis 2050 geplant werden müsse.

Die Windkraftwerke auf See produzierten im vergangenen Jahr nach Angaben des Netzbetreibers Tennet fast 24,2 Terawattstunden (TWh) Strom, im Vergleich zu 19,1 TWh im Vorjahr. Damit könnte rechnerisch der Stromverbrauch von mehr als sieben Millionen Haushalten gedeckt werden. Zur gesamten Windstrom-Produktion in Deutschland von 122 TWh steuert Offshore somit 19,8 Prozent bei.

Der Gesamtbeitrag der erneuerbaren Energien - dazu zählen neben Windenergie auch Photovoltaik, Wasserkraft und Biomasse - zur deutschen Nettostromversorgung lag bei etwa 46 Prozent. Bis 2030 sollen nach den Klimazielen der Bundesregierung 65 Prozent des Stroms von erneuerbaren Energieträgern kommen. Dazu müssten nach Berechnungen des Bundesverbandes Erneuerbare Energien jährlich mindestens ein Gigawatt Windenergie auf See und 4,7 Gigawatt an Land zugebaut werden. Der Ausbau der Windenergie an Land ist im vergangenen Jahr auf weniger als ein Gigawatt zurückgegangen. Das ist so wenig wie in den Anfangsjahren der Windenergie.

Julian Stratenschulte
Julian Stratenschulte
dpa