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Jury fordert Milliarden Bayer verliert neuen US-Glyphosat-Prozess

Bayer muss im juristischen Streit um den umstrittenen Wirkstoff Glyphosat in den USA erneut eine Niederlage einstecken. Es geht um viel Geld. Der Pharmariese will Rechtsmittel einlegen.

14.05.2019, 13:30

Oakland/Leverkusen (dpa) - Für Bayer-Chef Werner Baumann wird es immer ungemütlicher. Nach bereits zwei verlorenen Prozessen um Krebsrisiken von Unkrautvernichtern der US-Tochter Monsanto hatten Beobachter zwar auch im dritten Prozess mit einer Niederlage gerechnet.

Das Ausmaß des Denkzettels hatte aber wohl kaum jemand auf dem Zettel. Die Geschworenen-Jury des zuständigen Gerichts im kalifornischen Oakland verurteilte Bayer am Montag (Ortszeit), Schadenersatz in Höhe von insgesamt über zwei Milliarden US-Dollar (1,78 Mrd Euro) an das klagende Rentnerehepaar zu zahlen. Bayer beharrt auf der Sicherheit von Glyphosat und will in Berufung gehen.

Der Aktienkurs setzte die Talfahrt der vergangenen Monate kurz nach dem Handelsstart am Dienstag fort. Die im Dax notierte Aktie sackte um bis zu fünf Prozent auf 53,65 Euro und damit den tiefsten Stand seit 2012 ab.

Der größte Teil der Zahlung entfällt auf den sogenannten Strafschadenersatz, wofür es im deutschen Recht keine Entsprechung gibt. Der eigentliche Schadenersatz liegt bei 55 Millionen Dollar. Die Geschworenen wollten offenbar ein deutliches Signal senden, auch wenn sie nicht davon ausgingen, dass der Strafschadensersatz in dieser Höhe Bestand haben wird, erklärte ein Börsenhändler. Der Klägeranwalt hatte eine Milliarde gefordert und dabei auf die mit Glpyhosat erzielten Gewinne verwiesen.

Im ersten Prozess hatte eine Jury Bayer vergangenen August zunächst zu 289 Millionen Dollar an Schmerzensgeld und Entschädigung verdonnert. Die Richterin reduzierte die Summe später zwar auf rund 78 Millionen Dollar, dem Aktienkurs half das aber wenig, verdeutlichte der Fall den Investoren doch die großen Risiken durch den Monsanto-Kauf. Im Ende März verlorenen zweiten Prozess steht eine ähnlich hohe Summe im Raum.

Damals wie heute betonte Bayer, die Urteile stünden in direktem Widerspruch zu vielen Studien zur Sicherheit von Glyphosat. Und in der Tat hatte die US-Umweltbehörde EPA den Unkrautvernichter Glyphosat erst Anfang Mai weiterhin als nicht krebserregend eingestuft.

Ob der glyphosatbasierte Verkaufsschlager Roundup Krebs verursacht, bleibt indes umstritten. So fußt die Klagewelle in den USA im Grunde auf einer Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Unkrautvernichter 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" für Menschen einstufte.

Die Klagerisiken unterschätzt zu haben, ist der größte Vorwurf, dem sich Bayer-Chef Baumann stellen muss. Auf der Hauptversammlung Ende April verweigerten ihm die Aktionäre sogar die Entlastung. Ein einmaliges Ereignis für einen amtierenden Chef eines Dax-Konzerns.

An der Börse bringt es der Konzern auf gerade einmal noch rund 50 Milliarden Euro Unternehmenswert. Zum Vergleich: Für Monsanto legten die Leverkusener 63 Milliarden Dollar oder zum aktuellen Wechselkurs rund 56 Milliarden Euro auf den Tisch.

Bayer-Chef Baumann betonte derweil unlängst, dass man angesichts der Kurseinbußen zwar nichts beschönigen dürfe, der Monsanto-Kauf auf lange Sicht aber dennoch der richtige Schritt gewesen sei. "Wir halten die Monsanto-Akquisition nach wie vor für werthaltig und strategisch richtig."

Mit Blick auf den Fortgang der Prozesse setzt Baumann auf die nächsten Instanzen und die dort zuständigen Berufsrichter, nachdem die Geschworenen in den ersten Runden aus der normalen Bevölkerung kamen. Von den Berufsrichtern erhofft sich Bayer größeres Augenmerk für die immer wieder zitierten Studien zur Sicherheit von Glyphosat und sachlichere Urteile. Die Berufungsverfahren können sich aber sehr lange hinziehen, im laufenden Jahr wird voraussichtlich keine Entscheidung mehr fallen.

Bis die Prozesse durch alle Instanzen gegangen sind, fließt seitens Bayer voraussichtlich auch erst einmal kein Geld. Allerdings dürfte der Druck nun zunehmen, sich mit Klägern zu vergleichen.

Glyphosat ist ein sogenanntes Total-Herbizid, es wirkt auf alle grünen Pflanzen. Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen, das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt. Wo Glyphosat ausgebracht wird, wächst kein Gras mehr - auch kein Kraut, Strauch oder Moos. Ackerflächen können so vor oder kurz nach der Aussaat und nochmals nach der Ernte unkrautfrei gemacht werden. Auch von Firmen wie der Deutschen Bahn wird Glyphosat eingesetzt.

1996 brachten Firmen zudem gentechnisch hergestellte Nutzpflanzen auf den Markt, deren Wachstum nicht durch Glyphosat beeinträchtig wird. Damit lässt sich das Mittel auch auf bereits bepflanzten Feldern verwenden, um sie unkrautfrei zu halten. Im Jahr 2014 wurden einer Studie zufolge auf mehr als 90 Prozent der Mais-, Soja- und Baumwoll-Anbauflächen der USA solche gentechnisch veränderten Pflanzen verwendet. Entsprechend großflächig und in großen Mengen wurde Glyphosat eingesetzt. Eine Folge: Mehr als 40 "unerwünschte" Pflanzenarten entwickelten Resistenzen gegen das Herbizid und überwucherten wieder die Felder.

Der vom US-Konzern Monsanto entwickelte Wirkstoff wurde 1974 erstmals zugelassen. Im Jahr 2000 lief das Patent aus, seither werden glyphosathaltige Produkte auch von zahlreichen anderen Herstellern angeboten. Verkauft werden einer Studie aus dem Jahr 2016 zufolge jährlich mehr als 800.000 Tonnen solcher Mittel, in Deutschland sind es etwa 5000 Tonnen.