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Deutschland müsste nachbessern Höhere Mindestlöhne in Deutschland - Brüssel plant Regeln

Arbeitnehmer sollen überall in Europa "angemessen" von ihren Einkommen leben können - das Ziel verfolgt die EU-Kommission mit einer neuen Richtlinie. Auch die Bundesregierung soll nachsteuern.

28.10.2020, 15:29

Brüssel (dpa) - Arbeitnehmer mit Mindestlohn sollen ab 1. Januar in Deutschland etwas mehr verdienen. Die Lohnuntergrenze soll von 9,35 auf 9,50 Euro steigen, wie das Bundeskabinett am Mittwoch beschloss.

Künftig könnten geplante EU-Regeln Deutschland zwingen, das System anzupassen und die Mindestlöhne weiter anzuheben. Den Entwurf einer Richtlinie mit neuen Vorgaben stellte die EU-Kommission in Brüssel vor.

Die Anhebung des deutschen Mindestlohns war bereits seit dem Sommer bekannt und wurde nun vom Kabinett auf den Weg gebracht. Nach dem geplanten kleinen Schritt Anfang 2021 sollen mehrere weitere folgen: Zum 1. Juli 2021 wird der Mindestlohn auf brutto 9,60 Euro pro Stunde angehoben, zum 1. Januar 2022 auf 9,82 und zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro. Nach den neuen Brüsseler Plänen für "angemessene" Mindestlöhne in allen EU-Ländern müsste die Bundesregierung aber wohl nachsteuern.

"Der heutige Vorschlag soll sicherstellen, dass Arbeitnehmer in der EU durch faire Mindestlöhne geschützt sind, so dass sie ein anständiges Einkommen verdienen können, wo immer sie sind", sagte EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis.

Als "Richtschnur" sieht die EU-Kommission, dass Geringverdiener überall in der EU mindestens 50 Prozent des Durchschnittslohns oder 60 Prozent des sogenannten Medianlohns im eigenen Land bekommen. Der Median wird auch mittlerer Lohn genannt und ist eine Rechengröße: 50 Prozent der Arbeitnehmer verdienen mehr, 50 Prozent weniger. In Deutschland liegt der Mindestlohn nach Angaben der Kommission zumindest derzeit deutlich unter den genannten Werten.

Darauf verwies auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der einen Mindestlohn von 12 Euro erreichen will. "Fünf Jahre nach der Einführung entspricht der Mindestlohn immer noch 46 Prozent des Durchschnittseinkommens", sagte der SPD-Politiker. Die Brüsseler Pläne für konkrete Mindestlohn-Vorgaben begrüßte er.

Nach dem Entwurf der neuen EU-Richtlinie sollen Deutschland und die übrigen 20 Staaten mit gesetzlichen Mindestlöhnen neue Kriterien dafür anlegen, wie die Einkommen "angemessen" gestaltet werden: Sie sollen Kaufkraft, Größenordnung, Verteilung und Anstieg der Bruttolöhne sowie die Produktivität heranziehen. In Deutschland hat die Mindestlohn-Kommission, in der Gewerkschafter, Arbeitnehmer und Experten sitzen, teils andere Maßstäbe.

Für die EU ist die geplante Regelung der Mindestlöhne heikel: Sie hat dafür nach den EU-Verträgen kaum Gesetzgebungskompetenz. Die Kommission plant ausdrücklich keine einheitlichen Lohnuntergrenzen - zumal Wohlstand und Lebenshaltungskosten sehr unterschiedlich sind. Und sie will den Regierungen auch keine direkten Vorgaben zu den Lohnhöhen machen. Vielmehr soll ein Prüfsystem dazu führen, dass die Mindestlöhne "angemessen" sind und sich die Länder langsam einander annähern. Derzeit liegt der Mindestlohn in Bulgarien bei 312 Euro im Monat, während er in Luxemburg 2145 Euro erreicht.

Über den Vorschlag müssen nun die EU-Staaten und das Europaparlament beraten. Es könnte Jahre dauern, bis er in Kraft tritt. Der Unternehmerverband Business Europe vermutet Widerstand der EU-Länder und sieht den Vorschlag selbst kritisch. Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände erklärte: "Wir lehnen eine europäische Mindestlohnbürokratie als eine Kompetenzanmaßung der Europäischen Kommission ab. Die deutsche Politik ist aufgerufen, diese entschieden zurückzuweisen."

Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßte indes, dass die Kommission auch die Tarifpartner bei der Lohnfindung stärken will. Den Entwurf der Richtlinie werde man nun genau darauf prüfen.

© dpa-infocom, dpa:201028-99-115401/3

Mitteilung der EU-Kommission vom 28.10.2020

Fragen und Antworten der EU-Kommission zu Mindestlohn-Richtlinie vom 28.10.2020