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Studie Schulze will Hersteller für Plastikmüll zur Kasse bitten

Plastik und Verpackungen machen einen beachtlichen Teil des Straßenmülls aus. Eine Studie hat nun berechnet, wie viel Geld deren Entsorgung kostet. Denn künftig sollen auch Hersteller dafür zahlen. Wird es für Verbraucher deshalb günstiger?

Von Rachel Boßmeyer, dpa 20.08.2020, 14:30
Jens Kalaene
Jens Kalaene dpa-Zentralbild

Berlin (dpa) - Ein achtlos weg geworfener Zigarettenstummel, ein Kaffeebecher neben dem Mülleimer, eine Plastiktüte im Gebüsch: die Entsorgung von Plastik- und Verpackungsmüll aus Umwelt und Abfalleimern kostet Stadtreinigungsunternehmen jährlich Millionenbeträge.

Allein für Einwegkunststoffe und Zigarettenreste sind es 700 Millionen Euro, wie eine Studie des Bundesumweltministeriums und des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) berechnet. Geht es nach Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) soll künftig auch die Wirtschaft hierfür blechen müssen. "Ich möchte die Bürgerinnen und Bürger entlasten und die Einwegplastikhersteller stärker zur Kasse bitten. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit", sagte sie bei der Vorstellung der Studie am Donnerstag in Berlin.

Wie viel Produzenten genau zahlen sollten und wie das Geld eingesammelt werden solle, könne sie im Detail noch nicht sagen, so Schulze. Die Studie sei eine erste Grundlage, um ins Gespräch zu kommen und die ab nächstem Juli geltende EU-Kunststoff-Richtlinie vorzubereiten. Denn: die Untersuchung zeigt, wie groß der Plastikanteil am Müll überhaupt ist.

Über ein ganzes Jahr hinweg wurden dazu Daten aus 20 Städten gesammelt. Das Ergebnis: Plastik- und Verpackungsmüll machen im Volumen mehr als zwei Fünftel des Straßenkehrichts aus. Am größten ist dabei mit 22 Prozent der Anteil von Einwegkunststoffen, wozu wegen des Plastiks im Filter auch Zigaretten gehören. Metall-, Glas- oder Papierverpackungen machen etwa 17 Prozent aus und ganz selten landen auch andere Kunststoffe, etwa Spielzeuge, im Straßenmüll. Zum Vergleich: knapp die Hälfte des gesamten Mülls machen Straßensplit, Sand und Grünabfälle aus. Laut der Studie umweltbedingte, nicht vermeidbare Abfälle.

VKU-Präsident Michael Ebling sagte bei der Vorstellung der Studie, dass seit Jahren steigende Müllmengen beobachtet würden. Dies habe auch mit den To-go-Verpackungen zu tun. Auch er wolle deshalb "die in die Pflicht nehmen, die auch für das Verursachen stehen".

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßte den Vorstoß. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte in "SWR Aktuell": "Wir haben immer mehr Wegwerfartikel, in manchen Städten eine regelrechte Müllflut in Parks und auf öffentlichen Straßen." Der Ansatz, dass Hersteller sich an den Entsorgungskosten beteiligen sollen, sei zutreffend, denn für die Bürger werde es teurer. Dass der Verursacher spätere Beseitigungskosten zu tragen habe, sei in allen Bereichen Grundsatz. Auch der Deutsche Städtetag steht hinter der Forderung. Es müsse aber sichergestellt werden, dass das Geld dann vor Ort bei den Kommunen und ihren Entsorgungsbetrieben ankomme, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.

Ob mit einer finanziellen Beteiligung der Hersteller aber die Gebühren für die Müllentsorgung wirklich gesenkt werden, ist unklar. "Wir sind Kommunale und Kommunale denken und handeln dezentral", sagte Ebling. Demnach kann es sein, dass mancherorts Gebühren für die Müllentsorgung gesenkt und andernorts in die Ausweitung oder Verbesserung der Reinigungsmaßnahmen investiert werden wird.

"Mir reicht es nicht, wenn die Kosten nur anders verteilt werden, wir brauchen auch ein Plus für die Umwelt", sagte Schulze. Parks und Straßen sollen sauberer werden. Und: es gehe nicht darum, Plastebecher durch Pappbecher zu ersetzen. "Die Alternative muss Mehrweg sein", forderte die Ministerin.

Genau das will auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Ganz konkret fordert der Verein eine "verbindliche Mehrwegquote und Abgabe von mindestens 20 Cent auf Einwegbecher und -Essensboxen". Eine Umfrage der DUH unter 65 großen Gastronomie-, Bäckerei- und Tankstellenketten hatte ergeben, dass sich nur wenige von ihnen an Mehrwegsystemen für Essen und Trinken beteiligen. Schulze müsse sie deshalb dazu verpflichten.

Widerstand kommt hingegen aus der Wirtschaft. Zwar sehe die EU-Kunststoffrichtlinie eine Beteiligung der Produzenten von Einwegplastik an deren Entsorgung vor, so Peter Feller, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie. "Diese gesetzliche Kostenbeteiligungspflicht beim so genannten Littering stellt allerdings keinen Freibrief für die Kommunen dar, mit extensiven finanziellen Forderungen an die Nahrungsmittelhersteller heranzutreten." Die Kostenbeteiligung sei an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die Studie zudem nur eine Momentaufnahme.

Die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen warnte gar vor falschen Maßnahmen: "Achtloses Wegwerfen gilt es zu verhindern und nicht zu finanzieren. Der Konsument wird sein Verhalten dadurch nicht ändern." Wegen ihrer Ökobilanz seien Kunststoffverpackungen zum Mitnehmen zudem oft die bessere Wahl gegenüber Glas, Alu oder Papier. "Daher muss es darum gehen, eine kosteneffiziente Getrenntsammlung im öffentlichen Raum zu fördern, statt einfach Gelder für bestehende Geschäftsmodelle zu generieren und Kunststoff durch andere, womöglich weniger ökologische Materialien zu ersetzen."

Auch der Deutsche Zigarettenverband (DZV) kritisiert die Studie. "Zigarettenkippen spielen mengenmäßig, sowohl im Volumen als auch beim Gewicht, im Aufkommen des öffentlichen Abfalls eine eher untergeordnete Rolle" am Einwegplastik-Abfall, teilte der Verband mit. Geschäftsführer Jan Mücke nannte die Kostenrechnungen "nicht transparent und nicht nachvollziehbar für Tabakproduktfilter". Der VKU sei zudem kein unabhängiger Akteur, da deren Mitglieder eigene wirtschaftliche Interessen verfolgten, hieß es vom DZV.

© dpa-infocom, dpa:200820-99-238430/5

Pressemitteilung BMU

Pressemitteilung DUH

Pressemitteilung IK

Pressemitteilung BVE

EU-Kunststoffrichtlinie