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China-Geschäft bricht ein "Stresstest" durch Virus: Deutsche Firmen haben zu kämpfen

Das Coronavirus droht, die ohnehin schwächelnde Konjunktur in Deutschland noch weiter abzudrosseln. In China tätige Unternehmen leiden schon schwer - das Geld wird knapp.

Von Andreas Landwehr und Andreas Hoenig, dpa 27.02.2020, 17:43
Arne Dedert
Arne Dedert dpa

Berlin/Peking (dpa) - Das neuartige Coronavirus bedroht massiv die deutsche Wirtschaft. Die Industrie erwartet einen "Stresstest" und fürchtet "spürbare negative Effekte". Die Börsen rutschen in den Keller.

In einer ohnehin geschwächten Wirtschaftslage in Deutschland droht die Lungenkrankheit, ein "wahrer Konjunkturhemmer" zu werden, warnt der Industrie- und Handelskammertag am Donnerstag. Schon jetzt spüre die international stark vernetzte deutsche Exportwirtschaft, dass das Coronavirus den weltweiten Handel belaste und Unternehmen ihre Investitionsvorhaben an vielen Standorten zurückhielten.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schloss nicht aus, dass das Coronavirus "überschaubare Auswirkungen" auf die bisherigen Wachstumsprognosen haben könne.

"Die Ausbreitung des Coronavirus wird der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr erheblich zusetzen", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. "Produktionsausfälle bei chinesischen und deutschen Firmen in China, massive Reiseeinschränkungen und Handelseinbrüche zwischen China und asiatischen Nachbarländern sowie Nachfrageausfälle in Tourismus und Einzelhandel sind wahrscheinliche Szenarien, die auf die Wirtschaft auch in Deutschland und Europa zukommen können."

Altmeier sagte, das Wirtschaftsministerium sei entschlossen, besonnen und ruhig zu handeln. Er rechne nicht mit großflächigen Lieferengpässen. Die Unsicherheit in der Wirtschaft sei aber gestiegen. Altmaier stellte bei einer massiven Ausweitung des Coronavirus mit Auswirkungen auf die Konjunktur ein Gegensteuern der Bundesregierung in Aussicht.

Die in China tätigen deutschen und anderen ausländischen Unternehmen haben schon zu kämpfen. "Die Auswirkungen sind insgesamt schlimm", stellten die deutsche und die europäische Handelskammer in China nach einer Umfrage unter Mitgliedsunternehmen fest. Fast 90 Prozent berichteten "mittelschwere bis starke Auswirkungen" durch die Lungenkrankheit. "Jeder ist betroffen", sagt der Vorsitzende der deutschen Handelskammer in Nordchina, Stephan Wöllenstein, in Peking.

Jedes zweite Unternehmen müsse die Geschäftsziele für das Jahr korrigieren. So erwarte fast die Hälfte der Firmen einen zweistelligen prozentualen Einbruch der Einnahmen in der ersten Hälfte des Jahres. Ein Viertel rechne sogar mit mehr als 20 Prozent Rückgang. Ein gutes Drittel hat heute schon Probleme mit seinen Finanzen. "Die Leute machen kein Geld, indem sie etwas verkaufen, aber müssen gleichzeitig Miete und Gehälter bezahlen", sagte Wöllenstein.

Gerade kleineren und mittelgroßen Unternehmen geht durch die Lungenkrankheit leicht die Luft aus. "Einige von ihnen haben schon zu kämpfen, um durchzuhalten", sagte der Chef der europäischen Handelskammer, Jörg Wuttke. Dabei könnte die Krise noch länger dauern als erwartet, wie der Chef der Expertenkommission der chinesischen Regierung, Zhong Nanshan, sagte. Er rechnet damit, dass die Epidemie in China erst "Ende April im Wesentlichen unter Kontrolle sein wird".

Zu allem Unglück breitet sich das Virus auch noch in Europa aus. Die Angst geht um: Wie in Peking die internationale Automesse wird jetzt im April etwa auch in Genf die Uhrenmesse abgesagt. Die sonst so reiselustigen Deutschen sind verunsichert, zögern mit ihren Urlaubsplänen. "Je länger die Krise anhält, desto stärker wird die Reisebranche aber betroffen sein", sagte Norbert Fiebig, Präsident des Branchenverbandes DRV in Frankfurt.

"Die Unsicherheit über die Auswirkungen des Virus ist groß", sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang in Berlin. China ist der größte deutsche Handelspartner. Jetzt sei auch wirtschaftliches Krisenmanagement der Bundesregierung gefordert. "Die Auswirkungen des Virus sind in der globalen Wirtschaft und der exportorientierten deutschen Industrie deutlich zu registrieren." Die in China tätigen Unternehmen arbeiteten unter Hochdruck daran, Abhängigkeiten zu reduzieren und Konzentrationsrisiken zu minimieren.

Die unmittelbaren Herausforderungen für die Firmen in China sind zunächst unvorhersehbare Vorschriften, Anforderungen für Quarantäne und weitgehende Voraussetzungen, um den Betrieb nach der verlängerten Pause seit dem chinesischen Neujahrsfest wieder anfahren zu können. "Der Flickenteppich widersprüchlicher Vorschriften, die der Kampf gegen Covid-19 entstehen ließ, hat Hunderte verschiedener Machtbereiche hervorgebracht, die es nahezu unmöglich machen, Waren oder Menschen in China zu bewegen", sagte EU-Kammerpräsident Wuttke.

"China steht vor einem heiklen Balanceakt mit zwei wichtigen, aber auseinanderlaufenden Zielen: Die Maßnahmen zur Vorbeugung gegen das Virus streng durchzuhalten, während es um eine Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Normalität kämpft", sagte Konterpart Wöllenstein. Chinas Regierung sollte besonders kleine und mittelgroße Unternehmen unterstützen, bis sich der Betrieb wieder normalisiere.

Mehr als die Hälfte der Firmen beklagt einen Einbruch der Nachfrage. "Der Markt kam zu einem Stillstand", sagte Wöllenstein. So ist etwa laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) der Automarkt in China im Januar verglichen mit dem Vorjahresmonat um 20 Prozent geschrumpft. Das liege aber auch daran, dass es wegen des Neujahrsfestes weniger Verkaufstage gegeben habe, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller.

Zudem könnten laut Wöllenstein wegen der Unterbrechung der Logistik Lieferfristen nicht eingehalten werden (47 Prozent). Es mangele bei vielen Unternehmen an Personal (47 Prozent). Auch verzögere sich die Produktion aus Mangel an Zulieferungen (45 Prozent). Wegen der Unsicherheiten ließen sich nur schwer Geschäfts- oder Investitionsentscheidungen treffen (44 Prozent).

War der Handelskrieg zwischen den USA und China schon ein "Weckruf", Abhängigkeiten zu verringern, so unterstreicht die Viruskrise aus Sicht von EU-Kammerpräsident Wuttke die Notwendigkeit, "die Lieferketten zu diversifizieren". Das könne in anderen Ländern in Asien, aber auch innerhalb Chinas geschehen. Mit Blick auf die enorme Größe der zweitgrößten Volkswirtschaft betonte Wuttke: "China zu verlassen, ist keine Option." Zum Beispiel habe eine Millionenstadt wie Shenzhen in Südchina eine ähnliche Wirtschaftsleistung wie Israel. "Es gibt kein zweites China. So einfach ist das."

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