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Im zweiten Quartal "Weckruf" für Deutschland - Wirtschaft geschrumpft

Flaute statt Frühjahrsaufschwung: Internationale Handelskonflikte haben die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal ausgebremst. Bleibt es bei einer Delle?

Von Friederike Marx, dpa 14.08.2019, 13:47

Wiesbaden (dpa) - Die exportorientierte deutsche Wirtschaft hat im Frühling eine Vollbremsung hingelegt. Belastet von internationalen Handelskonflikten und der Abkühlung der Weltwirtschaft schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal.

Das teilte das Statistische Bundesamt in einer ersten Schätzung mit. Zum Jahresanfang war Europas größte Volkswirtschaft noch um 0,4 Prozent gewachsen. Zuletzt hatten sich auch die Aussichten für die kommenden Monate eingetrübt. Ein Konjunkturabsturz im Gesamtjahr wird jedoch nicht erwartet.

Die Regierung sehe keine Notwendigkeit für weitere Maßnahmen, die die Konjunktur stabilisierten, sagte die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Ulrike Demmer. Für das Gesamtjahr gehe man weiter von einem leichten Wirtschaftswachstum aus. Zuletzt rechnete die Regierung mit einem Plus von 0,5 Prozent. Im vergangenen Jahr war das Bruttoinlandsprodukt insgesamt um 1,5 Prozent gestiegen.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten bereits erklärt, am Prinzip der "schwarzen Null" festhalten zu wollen - also einer Politik ohne neue Schulden. Es mehren sich jedoch die Stimmen, die mehr Investitionen der öffentlichen Hand fordern, um die Konjunktur in dem rauen Klima wetterfest zu machen.

Gebremst wurde die Entwicklung nach Angaben der Wiesbadener Behörde vom Außenhandel. Die Exporte von Waren und Dienstleistungen sanken im Vergleich zum Vorquartal stärker als die Importe.

Die Abkühlung der Weltwirtschaft, die Unsicherheiten wegen des Handelskonflikts zwischen den USA und China sowie die Unwägbarkeiten des Brexits belasten die exportorientierte deutsche Industrie. Hinzu kommt der Strukturwandel in der Autoindustrie durch die Elektromobilität.

Zuletzt gab es immerhin ein Signal der Entspannung im Streit zwischen Washington und Peking. Angesichts drohender Preissteigerungen vor dem Weihnachtsgeschäft kündigte die US-Regierung eine Verschiebung neuer Strafzölle auf Elektronikgeräte und andere Importe aus China an.

Gestützt wurde die Konjunktur von der Kauflaune der Verbraucher. Die Menschen sind angesichts niedriger Arbeitslosigkeit und gestiegener Löhne und Gehälter in Konsumlaune. Zudem wirft Sparen wegen der Zinsflaute kaum mehr etwas ab. Zuletzt wurden die Verbraucher nach Angaben der GfK-Konsumforscher beim Geldausgeben allerdings vorsichtiger. Meldungen über Personalabbau und die Einführung von Kurzarbeit ließen demnach die Angst vor einem Jobverlust wachsen.

Auch die Konsumausgaben des Staates, zu denen unter anderem soziale Sachleistungen und Gehälter der Mitarbeiter zählen, legten von April bis Ende Juni zu. Die Bauinvestitionen sanken dagegen. Wegen des vergleichsweise milden Winters war das erste Quartal für den Bau allerdings auch ungewöhnlich stark.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete die Zahlen als "Weckruf und ein Warnsignal". Gleichzeitig sagte der Minister der "Bild"-Zeitung (Mittwoch) aber: "Ein deutlicher Abschwung zeichnet sich nicht ab." Gegenüber dem Vorjahreszeitraum wuchs die deutsche Wirtschaft bereinigt um Kalendereffekte im zweiten Quartal um 0,4 Prozent.

Die für das dritte Vierteljahr erhoffte Konjunkturerholung steht nach zuletzt eher schwachen Daten zunehmend in Frage. "Ein negatives drittes Quartal in Deutschland ist wahrscheinlich und damit eine zumindest leichte Rezession", sagte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bleibt die deutsche Wirtschaft "in einem Graubereich zwischen Magerwachstum und Rezession".

Sinkt die Wirtschaftsleistung zwei Quartale in Folge, sprechen Ökonomen von einer "technischen Rezession". Es handelt sich in diesem Fall aber nur um eine sehr milde Rezession. Anders sähe es aus, wenn die Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr gegenüber dem Vorjahr schrumpft. Damit rechnet aktuell jedoch niemand.

Claus Michelsen, Konjunkturchef des Deutsche Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hält die Zeit reif für einen Kurswechsel: "Der Staat sollte mehr Geld ausgeben, um beispielsweise Projekte der Energie- und Mobilitätswende, im Bereich der Digitalisierung, aber auch auf dem Wohnungsmarkt voranzubringen." Die Gelegenheit sei dank historisch niedriger Zinsen günstig wie nie zuvor, um die deutsche Wirtschaft zukunftsfest zu machen.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, mahnte: "Es liegen trübe Monate vor uns, die drohen, zu Jahren zu werden – wenn die Politik nicht kräftig gegensteuert." Die Politik müsse rasch kräftige Impulse für die öffentliche und private Investitionstätigkeit setzen.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) forderte, "die Probleme im Inland anzupacken. Die Unternehmen geraten am Standort Deutschland wegen der Belastung mit Steuern und Bürokratie immer mehr unter Druck", kritisierte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.

Im europäischen Vergleich zählte Deutschland zu den Schlusslichtern bei der Wirtschaftsentwicklung. Im Euroraum insgesamt wuchs das Bruttoinlandsprodukt nach Angaben des Statistikamtes Eurostat um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Die 28 EU-Länder legten ebenfalls um 0,2 Prozent zu. Rückläufig war die Wirtschaftsleistung neben Deutschland im Brexit-Land Großbritannien und in Schweden.

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