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Uralt und doch im Trend 3000 Brötchen für die Wissenschaft

Die Nachfrage nach ursprünglichen Getreidesorten wächst. Aber es fehlt derzeit nicht nur an Masse, sondern auch an Wissen. Forscher der Universität Hohenheim wollen das ändern.

Von Martin Oversohl, dpa 08.07.2019, 10:51

Stuttgart (dpa) - Schon seit 10.000 Jahren bekannt und dennoch so etwas wie der letzte Schrei beim Bio-Bäcker: Als Urgetreide kommen alte Getreidesorten wie Dinkel, Emmer und Einkorn mit Wucht zurück.

Sie finden sich in Brot, in Bier und in Gesundheitskissen und entsprechen nach Ansicht der Bäckerbranche der Sehnsucht nach nachhaltigen, naturbelassenen und authentischen Produkten. Allerdings wissen viele Bauern, Müller und Bäcker noch nicht, wie mit den Urgetreiden am Besten umgegangen werden muss. Oder sie entscheiden sich wegen des Aufwands und des vergleichsweise geringeren Ertrags von vorneherein gegen die sogenannten alten Sorten.

Im nach seinen Angaben weltgrößten Feldversuch untersucht der Stuttgarter Weizen-Experte Friedrich Longin, wie sich die Sorten im Anbau behaupten, welche Risiken dieser hat und für welche Produkte sich die eine oder andere Getreidesorte am besten eignet. Wirklich überzeugt ist Longin zwar nicht von den beworbenen Vorteilen der alten Sorten. Aber nach Ansicht des Fachmanns, der an der Universität Hohenheim in Stuttgart mit alten Getreidesorten wie Emmer, Einkorn oder Dinkel arbeitet, werden die Oldies bei den Verbrauchern trotzdem immer beliebter. "Der Verbraucher will das Alte, das Traditionelle. Und dann muss die Branche reagieren."

Nach Angaben der Landesinnung für das Württembergische Bäckerhandwerk wissen Kunden beim Urgetreide den höheren Wert an Mineralstoffen und Vitaminen zu schätzen, viele mögen auch den nussigen, kräftigen und würzigen Geschmack der alten Sorten. Für Innungsgeschäftsführer Frank Sautter ist Urgetreide daher auch mehr als nur ein Trend: "Das verstetigt sich und bleibt."

Vor allem für kleinere Bäcker sei der Handel mit den alten Sorten eine Chance, sich vom Discounter und den größeren Ketten abzusetzen, und ein Zeichen zu setzen für Artenvielfalt und regionale Produkte. "Brot aus Urgetreide wird das klassische Bauernbrot nicht ersetzen, aber es wird seinen Marktanteil ausbauen", sagt Sautter.

Auf den Hohenheimer Versuchsfeldern am Stadtrand von Stuttgart wachsen derzeit je 150 Sorten Einkorn, Emmer und Dinkel, insgesamt rund zwei Tonnen Getreide. Sie sollen später zu 500 sortenreinen Mehlen vermahlen werden und etwa 3000 Brötchen ergeben, mit denen getestet werden kann. Jahrelang hatten Longin und sein Team Saaten gesammelt und mühsam aufbereitet. "Urgetreide ist erst am Anfang, erforscht zu werden", sagt Longin. "Wir kennen grob die Risiken, aber wir wissen noch nicht ausreichend, was man mit den Sorten alles machen kann."

Er sieht auch bei Bäckern und Bauern enormen Nachholbedarf: "Der Wissensstand geht bei den meisten gegen Null", sagt Longin und warnt: "Man kann nicht einfach loslegen, dann wird man Schiffbruch erleiden." Fortbildung sei nicht nur wichtig für Ernte und Produktion, sondern auch für das Marketing: "Bäcker müssen ihren Kunden erklären können, was das Besondere ist an ihrem Brot und wie der Preis zustande kommt." Denn der hat es meist in sich: "Emmer kostet das Drei- bis Vierfache von normalem Weizen, das bildet sich natürlich auch im Preis ab", sagt Innungs-Geschäftsführer Sautter.

Denn dem Bauern bringen die Urkornsorten beim Anbau einen geringeren Ertrag bei höherem Aufwand. Deshalb wird das Mehl aus Urgetreide nach Ansicht Longins zwar in der Nische funktionieren, Roggen und Weizen aber keineswegs ersetzen.

Homepage Initiative Urgetreide

Landesinnung Württembergisches Bäckereihandwerk