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Leibniz-Institut Saarbrücken Nanopartikel: Forscher untersuchen Wirkung aufs Nervensystem

Feinstaub aus Abgasen und Industrieprozessen findet seinen Weg über die Luft in den menschlichen Körper - und dort möglicherweise bis ins Hirn. Das dürfte nicht ohne Folgen bleiben.

Von Doreen Fiedler, dpa 08.10.2017, 10:54

Saarbrücken (dpa) - Nanopartikel sind so klein, dass sie nur mit speziellen Mikroskopen zu erkennen sind - trotzdem können sie im menschlichen Körper große Wirkungen entfalten.

Dazu gehören positive: Sie können als Medikamententransporter genutzt werden. Aber auch negative: Einige können Lungen- sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit verursachen oder verstärken.

Seit einigen Jahren mehren sich außerdem Hinweise, dass bestimmte Nanopartikel Nervengewebe schädigen können. "Verallgemeinern lässt sich dies jedoch nicht. Befunde, die für verbrennungsgenerierte, luftgetragene Nanopartikel gelten, sind nicht unbedingt auf Nanopartikel übertragbar, die gezielt eingesetzt werden. Letztere sind in der Regel nicht in der Atemluft enthalten", sagt Annette Kraegeloh, Koordinatorin des Leibniz-Forschungsverbundes Nanosicherheit. "Da besteht noch mehr Forschungsbedarf." Unter anderem deswegen organisiert der Forschungsverbund ab Mittwoch die Tagung "Nanosafety 2017" in Saarbrücken.

Einer der Redner dort ist der Partikeltoxikologe Roel Schins vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf. Er ist sich sicher, dass Nanopartikel etwa aus Dieselruß Effekte auf das zentrale Nervensystem haben können. Sein Team habe in Zusammenarbeit mit Kollegen vom Niederländischen Institut für Volksgesundheit und Umwelt sowie der Universitätsmedizin in Göttingen zeigen können, dass diese Partikel aus Abgasen bei Mäusen die Bildung der mit Alzheimer verbundenen sogenannten Amyloid-Plaques beschleunigen und die motorischen Defizite verstärken. Auch Demenzformen werden mit Nanopartikeln aus der Verbrennung in Verbindung gebracht.

Wie Kraegeloh betont auch Schins: "Für andere, technisch hergestellte Nanopartikel wissen wir das noch nicht." Tatsächlich gibt es eine unglaubliche Vielzahl von Nanopartikeln - denn der Begriff beschreibt alle Objekte mit einer Größe zwischen 1 und 100 Nanometer. Beispiele gibt es zuhauf: Winzige Keramikpartikel machen Lacke kratzfest. Mit Zinkoxid-Nanoteilchen erlangt Sonnencreme eine höhere Schutzwirkung. Und Salz rieselt dank Siliziumdioxid-Zwergen besser.

Nanopartikel können komplett harmlos sein - oder eben nicht. Und ständig werden neue geschaffen. "Deswegen ist es generell schwierig vorherzusagen, wie sie sich verhalten", sagt Kraegeloh. Schon in der Entwicklung von neuen Nanomaterialien soll nun sichergestellt werden, dass die Teilchen sicher sind, wie Kraegeloh sagt. Eine Möglichkeit sei, die Partikel so in Materialien einzubinden, dass sie nicht in die Luft gelangen. Unter anderem darauf arbeite der Forschungsverbund hin.

Sind Teilchen nanoklein, sind sie wirksamer, weil sich die Oberfläche verändert, die mit dem Körper in Kontakt kommt. In den Körper gelangen können sie entweder direkt über die Nase oder über Lunge oder Magen-Darm-Trakt ins Blut. "Aus der Nasenschleimhaut können sie über die Nerven ins Hirn transportiert werden. Das ist für bestimmte Nanopartikel schon lange bekannt, denn Viren können das auch - sie sind von der Größe her biologische Nanopartikel", erklärt Schins. Andere Partikel können durch die Lunge zum Teil ins Blut und dann vereinzelt durch die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn gelangen.

Der Neurotoxikologe Christoph van Thriel vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund erklärt, dass viele Nanopartikel eine hohe Ladungsdichte haben. Deswegen reagierten sie mit Membranen und Proteinen - die dann ihre normalen Eigenschaften verlören. "Das Problem ist: Wir wissen nicht, ob die Konzentrationen im Gehirn erreicht werden, die für den Menschen relevant sind." Denn es gebe nur sehr wenige Datenbanken mit Gehirnen von Organspendern, die auf Schadstoffe hin untersucht werden könnten.

Mit Spannung erwarten die deutschen Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Kollegin Michelle Block aus Indianapolis in den USA. Sie erforscht eine indirekte Wirkungsweise von Nanopartikeln: Eine Entzündung in der Lunge könnte möglicherweise auch Effekte im Gehirn auslösen. Die Immunsignale können sogenannte Mikroglia, die Immunzellen des Gehirns, aktivieren oder über Rezeptoren auf den Neuronen Prozesse der Informationsverarbeitung direkt beeinflussen. Ob die neurotoxischen und neurodegenerativen Effekte durch die Partikel selbst oder die indirekten Wirkungen zustandekommen, sei derzeit die "Millionen-Dollar-Frage", sagt Schins.

Für viele Verbraucher stellt sich auch die Frage, wo überall Nanopartikel enthalten sind. Das Umweltbundesamt forderte schon 2009 ein Register für Produkte mit Nanomaterialien - doch bis heute gibt es so etwas weder national noch auf EU-Ebene. Allerdings hat die Naturschutzorganisation BUND eine Datenbank aufgebaut. 1100 Nano-Produkte befinden sich darin. Dunkelziffer: unbekannt. "Es gibt keine Registrierungspflicht für Nanoprodukte", sagt Rolf Buschmann vom technischen Umweltschutz des BUND.

Einige Produkte sind nach einer Verordnung des Europäischen Parlaments immerhin gekennzeichnet - aber nur, wenn es sich um Lebensmittel, Kosmetika oder Schädlingsbekämpfungsmittel handelt. Laut Buschmann kommt noch hinzu, dass es eine Lücke in der Regulierung gibt. "Die Lebensmittelüberwachungsämter können Nanopartikel bisher nicht detektieren. Dazu fehlt ihnen die adäquate Analytik." Er wolle nicht suggerieren, dass die neuen Nanopartikel gefährlich seien, sagt Buschmann. Aber für die Entscheidungsfindung sei es wichtig zu wissen, was wo enthalten ist. "Das gehört sich so."

Tagung Nanosafety 2017

Leibniz-Forschungsverbund Nanosicherheit

AG Schins

van Thriel auf Seite des IfADo

BUND zu Nanopartikeln

Informationen zu Nanomaterialien durch Dechema

Nano-Datenbank des BUND

Liste der Europäischen Kommission mit Nanomaterialen in Kosmetika

Übersichtsartikel über Nanopartikel und Neurotoxidität