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Kommunalpolitik Kampf ums Schülerticket: Stadtelternrat Magdeburg schießt scharf gegen Finanzprüfer aus Halle

Der Stadtelternrat Magdeburg gibt den Kampf um das kostenlose Nahverkehrsticket für Schüler nicht auf. Prüfer des Landes Sachsen-Anhalt hatten die Einführung untersagt.

Von Rainer Schweingel Aktualisiert: 28.4.2021, 14:57
Straßenbahnen der Magdeburger Verkehrsbetriebe.
Straßenbahnen der Magdeburger Verkehrsbetriebe. Mit ihnen sollten alle Schüler in Magdeburg ab August kostenfrei fahren dürfen. Foto: Martin Rieß

Magdeburg. Nach dem Beschluss im Stadtrat Ende 2020 ist die Einführung des kostenlosen Schülertickets für den Nahverkehr im April 2021 vom Landesverwaltungsamt untersagt worden. Der Stadtrat will nun in der Maisitzung über das Verbot beraten. Was die Vorsitzende des Magdeburger Stadtelternrates, Annette Kirstein, dazu sagt.

Volksstimme: Der Stadtrat hatte das Schülerticket im Dezember beschlossen. Wie wichtig ist Ihnen das kostenlose Fahren?

Annette Kirstein: Alle Schülerinnen und Schüler könnten damit unabhängig von der Länge des individuellen Schulwegs bei schlechten Witterungsverhältnissen den Nahverkehr nutzen. 

Annette Kirstein , Vorsitzende des Stadtelternrates Magdeburg
Annette Kirstein , Vorsitzende des Stadtelternrates Magdeburg
Volksstimme

Auch Kinder mit einem Schulweg unter 2,5 Kilometern müssten ihren 10 bis 15 Kilogramm schweren Schulranzen nicht mehr zu Fuß transportieren oder wenig verkehrssicher auf dem Fahrrad balancieren. Der Individualverkehr durch Elterntaxis könnte eingedämmt werden. Ein Treffen in Lerngruppen oder zur Unterrichtsvorbereitung nachmittags, was oft von der Schule gefordert wird, wäre einfach und flexibel möglich.

Die Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen an sportlichen und kulturellen Angeboten in der Stadt würde erleichtert, und alle hätten die Chance, unsere schöne Stadt besser kennenzulernen. Derzeit sind durch die Pandemie viele Familien finanziell oder psychisch stark belastet. Das Schülerticket brächte für die Schülerinnen und Schüler ein Stück Freiheit und für die Eltern eine finanzielle Entlastung.

Nun hat das Landesverwaltungsamt der Stadt die Einführung wegen der defizitären Haushaltslage untersagt. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie davon hörten?

Ich habe mich gefragt, warum sich das Landesverwaltungsamt anscheinend so selektiv zu Wort meldet. Warum hat das Landesverwaltungsamt die Stadt nicht schon vor Jahren an ihre Pflichtaufgabe erinnert, Schulen zu bauen? Und wo war es, als die Stadt das kostenträchtige Tunnelbau-Projekt in den Haushalt eingestellt hat? Der ursprüngliche Etat ist mittlerweile um ca. 100 Millionen Euro überzogen worden. Ein Teil dieses Geldes hätte ausgereicht, um ein oder zwei dringend benötigte Schulen zu bauen.

Welche Rolle spielt das kostenlose Ticket im Budget der Magdeburger Schüler und ihrer Eltern?

Im Besonderen für kinderreiche Familien oder Familien mit relativ geringem Einkommen spielt das Schülerticket eine große Rolle, weil beispielsweise selbst ein Gruppenticket recht teuer ist und oftmals nicht einmal für die gesamte Familie ausreicht.

Das Ticket sollte ausnahmslos für alle Schüler gelten. Wie sozial gerecht ist es, wenn auch gut betuchte Elternhäuser vom Gratisticket profitieren?

Wie sozial gerecht ist es, wenn man an der Fahrkarte des Kindes das Einkommen der Eltern erkennt? Soziale Gerechtigkeit wird bereits über die Einkommenssteuer hergestellt. Diejenigen mit hohem Einkommen zahlen hohe Steuern, die anderen zahlen weniger Steuern. Die Kinder sollten jedoch unabhängig vom Elternhaus alle den gleichen Fahrschein erhalten, damit jedes Kind die Möglichkeit hat, sich in unserer Stadt (kosten)frei zu bewegen.

Jetzt droht das Aus des Tickets. Wollen sie weiter dafür kämpfen – und wenn ja, wie?

Wir hoffen, dass der Stadtrat die Angelegenheit nochmals prüft. Der vom Landesverwaltungsamt monierte Betrag umfasst den Kaufpreis von Abo-Monatskarten für jeden Schüler, abzüglich des Zuschusses der Stadt für die bisherigen Schüler-Jahreskarten.

Das ist aber viel mehr als den MVB durch das neue Schülerticket tatsächlich an Kosten entstünden. Zuzüglich zum Zuschuss für die bisherigen Schüler-Jahreskarten hätten die MVB lediglich Einnahmeausfälle für ein paar ansonsten verkaufte Fahrscheine, und sie müssten punktuell zusätzliche Busse und Bahnen einsetzen. Jedoch verursacht eine fast leere Straßenbahn, die nachmittags sowieso fahrplanmäßig fährt und künftig auch ein paar Schüler transportiert, keinerlei zusätzliche Kosten.

Außerdem könnte die Kontrolle der Schüler-Fahrkarten künftig eingespart werden. Wenn eine Prüfung ergibt, dass der von der Stadt zu leistende Betrag für das Schülerticket als viel zu üppig angesetzt wurde, sollte die Stadt mit den MVB neu verhandeln und Widerspruch gegen den Bescheid des Landesverwaltungsamts einlegen.

Sind für Sie auch Alternativvorschläge mit dem Ticket denkbar?

Die MVB könnten stattdessen auch aus Eigeninteresse eine Schüler-Monatskarte anbieten, die so günstig ist, dass jeder sie haben möchte. Kinder, die sich heute selbstverständlich mit Bus und Bahn in der Stadt bewegen, sind die Abo-Kunden der MVB von morgen.

Wie ordnen Sie die Ticketfrage im Konzert aller Probleme ein, die Magdeburger Schüler im Moment drücken. Ist sie ein vordringliches Problem – oder gibt es viel wichtigere Fragen, die die Stadt lösen müsste?

Für einen Jugendlichen ist das Schülerticket mit Sicherheit dringlicher als für eine Grundschülerin. Ein großes Problem kommt nächstes Jahr auf derzeitige Drittklässler und deren Eltern zu. Zum Schuljahr 2022/23 fehlen in Magdeburg 310 Schulplätze an weiterführenden Schulen. Das sind umgerechnet 11 Klassen. Aktuell steht aber noch nicht einmal das Grundstück für einen Schulneubau fest.

Schülerticket: Das war geplant

  • Der Stadtrat hatte beschlossen, dass alle in Magdeburg gemeldeten Kinder, Schüler sowie Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ab August 2021 den Nahverkehr der Landeshauptstadt unentgeltlich an allen Tagen nutzen dürfen.
  • Das hätte rund 22.000 Schüler betroffen.
  • Bislang erhielten diese eine ermäßigte Abo-Karte der MVB zum Preis von derzeit 41,84 Euro pro Monat.
  • Die zusätzlichen finanziellen Belastungen für den städtischen Haushalt hätten laut Berechnungen der Landeshauptstadt in den nächsten Jahren rund elf Millionen Euro betragen.