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"Tag des Zorns" Der Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 als Fanal

Der Tod von Benno Ohnesorg bei den Anti-Schah-Demonstrationen vor 50 Jahren in Berlin gilt als Fanal der Studenten- und Jugendrebellion in der Bundesrepublik und Zäsur der Nachkriegsgeschichte. Ausführliche Hintergründe und die Ereignisse dokumentiert ein neues Buch.

Von Wilfried Mommert, dpa 09.05.2017, 13:32
Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg bei einer Anti-Schah-Demonstration in Berlin erschossen. Foto: Henschel/akg-images
Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg bei einer Anti-Schah-Demonstration in Berlin erschossen. Foto: Henschel/akg-images akg-images

Berlin (dpa) - Für den Pfarrer und damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin Heinrich Albertz (SPD) war der 2. Juni 1967 der "Tag des Zornes Gottes über meinem Haupt". Bei den gewalttätigen Demonstrationen gegen den Schah-Besuch in Berlin wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten in Zivil erschossen.

Als die Schüsse vor der Deutschen Oper fielen, lauschten der Schah von Persien und seine Frau Farah Diba Mozarts "Zauberflöte" ("In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht").

Der Tag wurde zum Fanal für die Studenten- und Jugendrevolte in Deutschland gegen die "etablierten Verhältnisse" und "alten Autoritäten", die sich bis dahin meist nur auf die Universitäten beschränkt hatte. Für die noch junge Bundesrepublik, die eigentlich gerade erst "volljährig" geworden war, bedeuteten die Ereignisse vor 50 Jahren eine Zäsur in ihrer Geschichte mit den nachfolgenden Bürgerbewegungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Aber es gab auch eine teilweise Radikalisierung bis hin zur terroristischen RAF.

Ausführliche Hintergründe und die Ereignisse im einzelnen dokumentiert der 1962 geborene Historiker Eckard Michels in seinem Buch "Schahbesuch 1967 - Fanal für die Studentenbewegung".

Das Bild ging um die Welt und berührt auch nach 50 Jahren noch den Betrachter: Ein junger Mann liegt auf der Straße, neben seinem Kopf sind Blutspritzer erkennbar, eine Frau hält den Kopf des Sterbenden in den Händen und blickt hilfesuchend um sich. Nach dieser "Nacht der langen Knüppel", wie es der Publizist Sebastian Haffner sah, sprang der Funke der bisher meist friedlichen Jugendrevolte auf das ganze Land über, der lautstarke Protest verließ den Universitätscampus.

Unmittelbarer Anlass war das von den Studenten bis dahin noch wenig thematisierte Schah-Regime im Iran (Persien), das bald aber wieder vom "aktuellen Themenkalender" der Proteste verschwand. Themen seinerzeit waren vor allem der Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze der Bundesregierung im Falle innerer Unruhen, die Hochschulreform und vor allem auch der Widerstand gegen die erste Große Koalition in Bonn ab 1966 mit Kanzler Georg Kiesinger (CDU) und einem Bundesaußenminister Willy Brandt (SPD). Die Protestler verstanden sich daher auch als "Außerparlamentarische Opposition" (APO).

Und es war auch der "Aufstand der Söhne gegen die Väter", die zu lange über die NS-Vergangenheit geschwiegen hatten, die im Zuge des Auschwitz-Prozesses mit umso brutalerer Wucht ins Gedächtnis zurückgerufen und der neuen Generation bewusst wurde. Da wirkte ein Bundeskanzler Kiesinger mit NSDAP-Vergangenheit quasi wie ein "rotes Tuch" für die rebellische Jugend. Die war übrigens noch wenige Jahre zuvor nach dem Berliner Mauerbau von 1961 tatkräftig als Fluchthelfer bei waghalsigen Tunnelaktionen beteiligt. Dafür wurde sie von derselben West-Berliner Bevölkerung noch gelobt, die nach den Krawallen von 1967 und später auf dem Kurfürstendamm "Geht doch nach drüben!" den "SED-Fritzen und Nichtstuern" zurief.

Michels will mit seiner Dokumentation über die bisher meist von "Veteranen" der 67er und 68er Protestbewegung verfassten Erinnerungen hinausgehen und beruft sich auf erweiterte Quellen, auch politische, diplomatische und geheimdienstliche. Polizei und Sicherheitsbehörden hatten ihr Augenmerk eigentlich in erster Linie auf die in Deutschland lebenden iranischen Oppositionellen gerichtet, weil sie von ihnen Attentate befürchtete. Die Polizei wurde daher von der Wucht der Proteste deutscher Studenten völlig überrascht. Dabei hatten die Sicherheitsbehörden offenbar den erst wenige Monate zuvor erschienenen und bereits von Tausenden Studenten gelesenen Dokumentarband "Persien - Modell eines Entwicklungslandes" von dem in Deutschland lebenden Iraner Bahman Nirumand übersehen oder zu wenig beachtet. Das Buch war in der von Fritz J. Raddatz betreuten Reihe "rororo aktuell" erschienen und schnell ein Bestseller.

Der Fall der Mauer brachte später Dokumente zutage, die den "Todesschützen" vom 2. Juni 1967 als Mitarbeiter der Stasi enttarnten. Die Stasi war jedoch, wie die gleichen Dokumente offenbaren, über das offenbar wenig professionelle Verhalten von Karl-Heinz Kurras entsetzt und sprach intern sogar von einem "Verbrechen". Kurras wurde allerdings in West-Berlin von der Anklage der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Kurras wisse jedoch "mehr als er sagt", hieß es in der Urteilsbegründung.

Michels macht deutlich, dass in der Geschichtsschreibung der westdeutschen Protestbewegung eher von den "67ern" als von den "68ern" gesprochen werden müsste, weil der 2. Juni 1967 der eigentliche Auslöser der folgenden Unruhen und späteren Bürgerbewegungen gewesen sei, die schließlich das ganze Land erfassten und mit dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke am 11. April 1968 auf dem Berliner Kurfürstendamm weiter eskalierte. Danach radikalisierte sich ein kleinerer Teil in der terroristischen RAF mit ihren Mordanschlägen und Entführungen. Dutschke selbst, der den Spätfolgen des Attentats am Heiligabend 1979 erlag, propagierte den "langen Marsch durch die Institutionen", dem dann auch viele folgten bis hin zur Gründung einer neuen Partei, den Grünen.

"Reinstechen und auseinandertreiben" war die Devise der von dem damaligen Berliner Polizeipräsidenten Erich Duensing ausgegebenen Taktik gegen Demonstrationen. Duensing musste ebenso wie Bürgermeister Albertz im Zuge der Untersuchungen zu den Vorfällen am 2. Juni 1967 zurücktreten. Das Parlament konstatierte schwere Versäumnisse der Polizei und zudem ein "klägliches Bild mangelnder Koordination", wie es im Buch heißt, was heutige Leser auch an aktuelle Untersuchungsberichte erinnert.

Es ist ein besonderes Verdienst des Buchautors, neben der detaillierten Schilderung der Demonstrationsabläufe rund um den 2. Juni 1967 aus Sicht der Demonstranten und auch der Polizei erstmals ausführlich auch die politisch-diplomatischen Aspekte des Schah-Besuchs in der Bundesrepublik zu beleuchten, einschließlich geheimdienstlicher Berichte. Dazu gehört auch ein umfangreicher historischer Rückblick auf die persische Geschichte mit ihren innen- und außenpolitischen Verwicklungen bis zu diesem Zeitpunkt.

- Eckard Michels: Schahbesuch 1967 - Fanal für die Studentenbewegung. Ch.Links Verlag Berlin, 355 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-86153-943-8.

Schahbesuch 1967 - Fanal für die Studentenbewegung