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Bildungsreform Orbán macht auf Margot Honecker

Ungarns Ministerpräsident Orbán gibt sich als Verteidiger seines Landes und Europas. Doch es gibt Widerstand gegen seine Bildungsreform.

Von Steffen Honig 09.03.2016, 00:01

Budapest l Das hatte Ungarn noch nicht erlebt: Am 29. Februar war organisiertes Schulschwänzen angesagt. Aufgerufen dazu hatten Eltern über Facebook. Wie ungarische Medien berichteten, waren viele Schulräume halbleer, in Gymnasien sollen ganze Abiturklassen dem Unterricht ferngeblieben sein. Eine Elternvertreterin berichtete, dass 50.000 Facebook-Nutzer ihre Teilnahme an der Aktion angekündigt hatten.

Der Massenboykott reihte sich ein in eine ganze Anzahl von Protesten gegen den neuesten Reform-Streich der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán. Die Schulen, bisher in kommunaler Hand, wurden einer zentralen Verwaltung in Budapest unterstellt. Eines der von der Regierung verkündeten Ziele ist die Erziehung der Schüler zu einer christlich-patriotischen Gesinnung, wie sie der Ideologie der Orbán-Partei Fidesz entspricht.

Dagegen wehren sich Eltern und Schüler, wie auch gegen die steigende Belastungen für Lehrer und Störungen im Schulbetrieb in den nun zentral gesteuerten Bildungseinrichtungen. Die Regierung ficht das bisher nicht groß an. Die Gleichschaltung des Bildungswesens im Sinne der herrschenden nationalkonservativen Führung läuft auf vollen Touren.

So plant die allmächtige Orbán-Regierung auch, den Zugang zu den Gymnasien deutlich zu beschränken. Dafür sollen mehr Kinder und Jugendliche technische und kaufmännische Schulen besuchen. 500 Gymnasien will man dafür umwandeln oder ganz schließen. Begründet wird dies mit einer „Erhöhung der Anzahl von Fachkräften“, die Ungarn für die Zukunft brauche.

Und die bekanntermaßen nicht von außen kommen dürfen, weshalb Premier Orbán als erster Regierungschef eines Schengen-Landes im Herbst 2015 einen Anti-Flüchtlings-Zaun an der Grenze zu Serbien im Stile des Eisernen Vorhangs errichten ließ.

Die jungen Ungarn sollen also nur das an erzkonservativem Gedankengut in die Köpfe geschaufelt bekommen, was der Regierungschef für richtig hält. Die Zentrale überwacht, dass es keine Abweichungen gibt.

Es ist, als belebe Viktor Orbán die Prinzipien einer Margot Honecker unter anderen ideologischen Vorzeichen. Die DDR-Bildungsministerin verantwortete ein Vierteljahrhundert lang die Volksbildung und führte dabei ein eisernes stalinistisches Regime. Oberstes Ziel: die Erziehung von sozialistischen Kollektivmenschen. Alles, was von dieser Linie abwich, wurde bestraft – bei Schülern wie bei Lehrern. Funktioniert hat es letztlich nicht. Auch Orbán dürfte es kaum gelingen, sein freiheitsbewusstes Volk geistig wieder einzumauern.

Der 52-Jährige selbst genoss in der Endphase des sozialistischen Systems sehr wohl Weltoffenheit: Nach seinem Jurastudium absolvierte er ein Forschungsjahr in Oxford. Der heutige Ministerpräsident konnte seinen Horizont daneben in den 1990er Jahren als Stipendiat der liberalen deutschen Naumann-Stiftung erweitern. Hängengeblieben ist wenig bis nichts.