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Iran Zwischen Pumps und Peitschen

Der Iran befindet sich wirtschaftlich im Aufbruch, steht gesellschaftlich jedoch am Scheideweg. Vieles hängt nun vom Westen ab.

06.06.2016, 23:01

Mit offenen Armen empfängt die iranische Regierung derzeit Wirtschaftsdelegationen, erst in der vergangenen Woche war auch eine aus Sachsen-Anhalt zu Besuch in Teheran. Irans Präsident Hassan Rouhani hofft, mit Hilfe des Westens die Wirtschaft anzukurbeln. Nach zwei Jahrzehnten politischer Konfrontation, dem Streit um Atomwaffen und harte Handelssanktionen ist die Arbeitslosigkeit hoch, der Investitionsbedarf im Land riesengroß.

Bei deutschen Unternehmern macht sich da schnell Goldgräber-Stimmung breit, doch wie nachhaltig sich die Islamische Republik verändern wird, bleibt abzuwarten. Vor allem gesellschaftlich steht das Land am Scheideweg. Auf der einen Seite hält die religiöse Elite um Ajatollah Ali Khamenei die Zügel weiter fest in der Hand, auf der anderen Seite wächst der Druck von der Straße, vor allem die jüngeren Generationen fordern mehr Freiheiten.

So manches Klischee, das im Westen gegenüber dem Iran gehegt wird, trifft schon jetzt nicht mehr zu. Wer heutzutage über den großen Basar in Teheran läuft, der trifft zwar ausnahmslos auf Frauen mit Kopftuch. Doch oftmals bedeckt der Schleier lediglich noch den Zopf im Haar, und an den Füßen blitzen modische Pumps hervor. Einem Westler kann es gar passieren, dass ihn iranische Frauen bei einer flüchtigen Begegnung anlächeln und ihm ein Kompliment auf Englisch zurufen, bevor sie im Marktgetümmel wieder verschwinden.

Von der Unterdrückung der Frau, wie sie in Saudi-Arabien noch üblich ist, kann im Iran auch insofern keine Rede sein, weil junge Frauen wie Männer Universitäten besuchen und einer Arbeit nachgehen dürfen. Die Wirtschaftsdelegation aus Sachsen-Anhalt konnte sich hierzu in einer Porzellan-Manufaktur bei Isfahan ein Bild machen. Von den rund 1000 Beschäftigten war mehr als die Hälfte weiblich.

Doch es gibt weiterhin Schattenseiten: Erst kürzlich sind 70 iranische Jugendliche wegen „unislamischer Partys“ von der Sittenpolizei festgenommen worden. In einem Teheraner Restaurant hatten sich nicht verheiratete Männer und Frauen getroffen und obendrein Alkohol getrunken – beides Dinge, die weiterhin streng verboten sind und mit Strafen wie 99 Peitschenhieben geahndet werden.

Noch weniger Gnade kennt der Staat mit Straftätern. In der südiranischen Stadt Schiras wurde ein 21-jähriger Vergewaltiger jüngst festgenommen und umgehend öffentlich hingerichtet. Allein in der ersten Jahreshälfte 2016 hat der Iran nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International rund 700 Menschen töten lassen, die meisten davon wegen Drogenschmuggels.

Im Westen hofft man, dass mit der wirtschaftlichen Öffnung auch der gesellschaftliche Wandel voranschreitet. Doch das dürfte nur langsam geschehen. Auch der politische Frühling könnte nach der langen Eiszeit ein Ende finden. Ajatollah Ali Khamenei sagte jüngst: „Es ist ein großer Fehler, dem bösen Großbritannien und dem großen Satan zu trauen.“ Mit Satan gemeint sind die USA, sie werfen dem Iran weiterhin vor, Terroristen zu finanzieren und haben deshalb noch nicht alle Sanktionen gegen das Land aufgehoben.

Anfeindungen dieser Art von höchster Stelle machen es dem amtierenden iranischen Präsidenten Rouhani nicht einfacher, Vertrauen im Westen aufzubauen. Und für ihn drängt die Zeit. Bei seiner Wahl hat Rouhani dem Volk versprochen, mit Hilfe der wirtschaftlichen Öffnung für Wohlstand und Arbeitsplätze zu sorgen. Deshalb hegt die Regierung auch ein großes Interesse daran, dass auch Firmen aus Sachsen-Anhalt im Iran investieren.

Doch bereits im kommenden Jahr findet die nächste Präsidentenwahl statt und noch immer liegt die Arbeitslosenquote bei zehn bis 15 Prozent. Die Quote bei jungen Menschen beträgt gar 25 Prozent. Von dieser schleppenden Entwicklung will vor allem der frühere Präsident und Hardliner Mahmud Ahmadinedschad profitieren. Er sagte jüngst einem iranischen Nachrichtenportal, „die Menschen freuen sich auf meine eventuelle Kandidatur, weil die Rouhani-Regierung in dieser Zeit nur Mist gebaut hat“.

Sollte es zu einem Comeback von Ahmadinedschad kommen, stünde nicht nur die wirtschaftliche Annäherung, sondern auch der mühsam erarbeitete Atom-Kompromiss auf dem Spiel. Allerdings schätzen Beobachter die Chancen des Hardliners derzeit als gering ein, denn selbst die konservative, religiöse Elite habe kein Interesse daran, wieder auf Konfrontation zum Westen zu gehen.

Dennoch: Der Iran wird sich wohl nur dann zu einem Stabilitätsanker im Nahen Osten entwickeln, wenn er vom Westen die nötige wirtschaftliche Unterstützung erfährt.