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Stasi-Unterlagen Jahn will alle DDR-Akten in Berlin lagern

Der Stasi-Unterlagen-Chef möchte auch die Archive von Parteien und Massenorganisationen in Berlin verwalten.

Von Jutta Schütz, dpa 26.12.2016, 23:01

 

Berlin l Als das Stasi-Unterlagen-Gesetz am 29. Dezember 1991 in Kraft trat, ahnten wohl die wenigsten, dass die Hinterlassenschaft der DDR-Staatssicherheit auch 25 Jahre später noch für Diskussionen sorgen würde. Nach Überprüfungen im öffentlichen Dienst, der Enttarnung zahlreicher Stasi-Spitzel und der Akteneinsicht von mehr als zwei Millionen Menschen ist die Frage: Was wird aus der Behörde, die die Unterlagen verwaltet?

„Aufarbeitung von Unrecht darf kein Verfallsdatum haben“, sagt der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn. Er sieht einen klaren Auftrag des Bundestages, den „Transformationsprozess“ der Stasi-Unterlagen-Behörde einzuleiten und zusammen mit dem Bundesarchiv Vorschläge zu erarbeiten. Vor der Bundestagswahl im Herbst 2017 werden aber keine neuen Konzepte mehr erwartet.

Erst vor wenigen Monaten hatte eine Expertenkommission empfohlen, die Stasi-Akten bis 2021 ins Bundesarchiv zu überführen, eine Stiftung einzurichten und die frühere Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg zum „Ort der Aufklärung über Diktatur und Widerstand“ weiterzuentwickeln.

Doch Opferverbände protestierten, sie befürchteten eine Abwicklung der Behörde. Die Vorschläge wurden auf Eis gelegt. Der Bundestag beschloss mit schwarz-roter Regierungsmehrheit, über den Umbau der Behörde erst in der nächsten Legislaturperiode zu entscheiden. Danach wurde Empörung laut, dass Debatte und Entscheidung verschoben wurden.

Jahn hatte die Ideen der Kommission befürwortet. Veränderungen müssten den Opfern gerecht werden und gleichzeitig eine Brücke zur nächsten Generation bauen. „Einen Schlussstrich darf es aber nicht geben.“ Zugleich sieht er Reformbedarf bei der Behörde mit ihren ostdeutschen Außenstellen und derzeit 1600 Mitarbeitern.

Anfangs waren bei der Behörde unter ihrem ersten Leiter, dem heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck, noch 3000 Menschen beschäftigt, unter ihnen mehr als 70 ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Derzeit seien noch zwölf von ihnen dabei, so Jahn. Er macht sich seit seinem Amtsantritt 2011 für deren Versetzung stark. Für die Opfer sei ihre Beschäftigung ein Schlag ins Gesicht, hatte er betont.

Jetzt prescht der frühere DDR-Oppositionelle mit neuen Ideen vor: Unterlagen zur DDR, die vom Bundesarchiv verwaltet werden, sollten in der früheren Stasi-Zentrale konzentriert werden. „Das ist meine Vision. Verwahrung und Nutzung an einem Ort wären einfacher“, sagt Jahn im Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ressourcen der Archive zur DDR-Aufarbeitung könnten gebündelt werden. „Wir schaffen etwas Neues und bewahren damit den Kern des Alten“, hofft er.

In der Ex-Stasi-Zentrale lagert ein Großteil der geretteten Stasi-Akten, die insgesamt rund 111 Kilometer Länge ausmachen. Hinzukommen könnten nach Ansicht von Jahn die Archive von Parteien und Massenorganisationen der DDR sowie Bestände von DDR-Ministerien, die derzeit vom Bundesarchiv an anderen Orten verwaltet werden. Dann müssten zum Beispiel Opfer nur noch einen Antrag stellen, wenn sie neben der Stasi-Akte auch ihre Unterlagen zur Haft für eine Rehabilitierung brauchten. Der 63-Jährige will, dass das Areal zu einem Campus für Demokratie entwickelt wird.

Auch der Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, Siegmund Ehrmann (SPD), befand die Vorschläge der Kommission für gut. „Leider war eine Umsetzung der Ergebnisse mit der Unionsfraktion nicht erreichbar“, sagt er der dpa im Rückblick. Er sieht noch ein anderes Problem: Die Aufbewahrung der Akten müsse professioneller werden, da zunehmend Verfall drohe.

Die Sicherung der Stasi-Akten sei beispiellos und das Vermächtnis der friedlichen Revolution, betont der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz. „Ein Erbe, das verpflichtet“, erklärt der Parlamentarier aus Sachsen auf Anfrage. Das Gesetz zu den Stasi-Unterlagen sei achtmal novelliert worden, um es praxisnäher zu machen. „Der Zugang zu den Stasiakten für Forschung und Öffentlichkeit muss unbefristet erhalten bleiben“, meint auch er.

Im damaligen Bonner Bundestag hatten im Herbst 1991 CDU, CSU, SPD und FDP für das Stasi-Unterlagen-Gesetz gestimmt. Es regelte, dass die umfangreichen Stasi-Papiere, Fotos, Filme und Tondokumente bei der Bundesbehörde gesammelt und verwaltet werden. Die Stasi hatte menschenrechtswidrig Daten von sechs Millionen Menschen gesammelt.

Das Recht auf Auskunft zu den Akten wurde festgeschrieben. Berichte über ausspionierte Opfer wurden geschützt, die von Tätern zugänglich. DDR-Oppositionelle sagten, die Opferakten seien ein Stück „geklautes Privatleben“, das sie nun zurückbekämen.

Bei einigen Enthaltungen votierten Bündnis 90/Grüne und die damalige PDS (SED-Nachfolgerin, heute Die Linke) gegen das Gesetz. Später übernahm Marianne Birthler, die von den Grünen kam, von Gauck die Leitung der Bundesbehörde. Dritter Behördenleiter ist Jahn, der bis 2021 vom Bundestag gewählt ist.