1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Der unfaire Generationenvertrag

Rente Der unfaire Generationenvertrag

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hat berechnet, wie viel die junge Generation zusätzlich aufbringen muss.

21.04.2016, 23:01

Magdeburg/Halle l Jürgen Lohse denkt an seine Enkel in Dänemark. Der 60-Jährige wird die beiden Racker öfter besuchen, wenn er in drei Jahren in den Ruhestand geht. Bis dahin konzentriert sich der Fleischermeister auf das, was vor ihm liegt: Schinken, Schnitzel, Würste. Lohse ist seit 1972 beim Magdeburger Fleischereibetrieb Delikata angestellt. Nach mehr als 45 Jahren in seinem Beruf soll bald Schluss sein. „Unsere Arbeit ist körperlich anstrengend. Ich werde mit gutem Gewissen in Rente gehen“, sagt Lohse.

Christian Voigt ist 33 Jahre alt. Der Vater eines Kindes hat sein Berufsleben noch vor sich. Auch Voigt ist Fleischer. Wenn Meister Lohse in den Ruhestand abtritt, wird Geselle Voigt noch mehr als 30 Jahre arbeiten müssen. Christian Voigt kann nicht davon ausgehen, im Alter von der gesetzlichen Rente so leben zu können wie die heutige Senioren-Generation. Der Beitrag, den er von der staatlichen Rentenversicherung voraussichtlich bekommt, wird zu gering sein. „Wenn die Rente vorne und hinten nicht reichen wird, ist das kein gutes Gefühl“, sagt Voigt. Erst in mehr als 30 Jahren wird er in den Ruhestand gehen können. Bis dahin ist es Christian Voigt, der mit seinen Beiträgen das Rentensystem mitfinanziert.

Doch der Generationenvertrag steht auf der Kippe: Während 1991 noch vier Erwerbsfähige für eine Rente aufkommen mussten, sind es bereits heute nur noch zwei Erwerbsfähige. Das hat das Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle berechnet. 2050 wird demnach ein Berufstätiger nahezu einen Rentner tragen müssen. Was bedeutet das? „Ein heute 30-Jähriger wird fast den eineinhalbfachen Beitrag zahlen müssen, um auf den gleichen Rentenanspruch zu kommen wie ein heute 60-Jähriger“, erklärt Volkswirt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik des Instituts. Der Berechnung liegt zugrunde, dass das Rentenniveau – also die gesetzliche Rente, die ein Rentner im Vergleich zum Durchschnittseinkommen bezieht – wie vom Gesetzgeber geplant bis 2030 von derzeit 48 Prozent auf 43 Prozent sinken wird. Gleichzeitig steigt der Beitragssatz, den ein Erwerbstätiger in die Rentenversicherung abführen muss von derzeit 18,7 Prozent auf 22 Prozent an.

Für die junge Generation wird die gesetzliche Altersvorsorge teurer. Und auch private Vorsorgemodelle versprechen angesichts niedriger Zinsen keine hohen Erträge. Den jungen Menschen ist zwar bewusst, dass es eine Lücke im Rentensystem gibt. Doch das Gespenst Altersarmut scheint an Schrecken zu verlieren. Das zeigt eine repräsentative Erhebung unter 2500 Jugendlichen zwischen 17 und 27, die am Donnerstag vorgestellt wurde. Laut der MetallRente-Studie des Versorgungswerks der Metall- und Elektroindustrie teilen nur noch 30 Prozent der jungen Menschen die Sorge, im Alter von Armut betroffen sein zu können „voll und ganz“. Das sind acht Prozent weniger als bei der letzten Erhebung im Jahr 2010.

„Die Mehrzahl der jungen Leute ist optimistisch, wenn sie an ihre eigene Zukunft denkt“, sagt Klaus Hurrelmann, der die Untersuchung geleitet hat. Nach Ansicht des Forschers muss die Politik mehr tun, um junge Menschen zu sensibilisieren und vor drohender Armut im Alter zu schützen. Denn um Vorsorge macht sich nur noch eine Minderheit Gedanken: Sparten vor sechs Jahren noch 55 Prozent der Jugendlichen fürs Alter, sind es heute nur 49 Prozent. Geld auf die hohe Kante legen die Jugendlichen eher für Urlausbreisen, aber nicht für die Altersvorsorge.

Die Studie zeigt zudem, dass junge Menschen den Produkten, die auf dem Kapitalmarkt angeboten werden, nicht mehr trauen. 48 Prozent der Befragten glauben „voll und ganz“ beziehungsweise „eher“, dass sich eine eigene Altersvorsorge aufgrund niedriger Zinsen nicht mehr lohnt. In der Erhebung wird aber auch deutlich, dass es bei vielen Jugendlichen bereits am Verstehen des komplexen Vorsorgesystems scheitert. 73 Prozent der Befragten gaben an, nicht in der Lage zu sein, das Modell der Riesterrente erklären zu können. Das sind neun Prozentpunkte mehr als noch vor sechs Jahren. Bleibt die Hoffnung, dass die gesetzliche Rente trotz der anhaltenden Diskussion über Altersarmut wächst: Nahezu 80 Prozent glauben, dass es auch künftig eine gute Rente geben kann, „ wenn es die Politik wirklich will“.

Eine Hoffnung, die auch Christian Voigt hegt: Für sein Auskommen im Ruhestand hat er mit einem Riester-Vertrag vorgesorgt. „Noch denke ich nicht so oft an die Rente. Aber auch im Alter will ich mir noch Träume erfüllen“, sagt Voigt. Jürgen Lohse hat für seinen Abschied aus dem Berufsleben Geld beiseite gelegt. Bereits in den Achtzigerjahren hat er in Magdeburg ein Haus gebaut. „Er hat lange dafür gearbeitet. Also hat er die Rente auch verdient“, sagt der junge Christian Voigt versöhnlich.