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Trotz Krieg Ukraine versucht den Neustart

Die Wirtschaft in der Ukraine hat schwer unter dem Krieg mit Russland gelitten. 2016 soll der Neustart gelingen.

20.11.2015, 23:01

Magdeburg l Andrij Melnyk reist gerne durch die ostdeutschen Bundesländer. „Sie haben in den vergangenen 25 Jahren einen enormen wirtschaftlichen Umbruch erlebt“, sagt der Botschafter der Ukraine in Deutschland. Vor einem nicht weniger gravierenden Strukturwandel stehe auch sein Heimatland.

Melnyk reist dieser Tage viel herum, er will Unternehmer über die wirtschaftliche und politische Lage seines Landes informieren und dabei auch um Investitionen werben. Wie etwa beim Ukraine-Tag der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Magdeburg in dieser Woche. Die Zahlen und Daten, die Melnyk vorstellt, zeichnen allerdings ein katastrophales Bild.

Durch den Krieg mit Russland um die östlichen Provinzen des Landes ist die wirtschaftliche Leistung im vergangenen Jahr um 6,8 Prozent zurückgegangen, für 2015 wird ein Minus von 5,5 Prozent erwartet. Damit nicht genug: Die Preise in der Ukraine steigen, in diesem Jahr wird die Inflation voraussichtlich bei 33,5 Prozent liegen. Die Einkommen der Menschen werden hingegen um fast 24 Prozent zurückgehen, der Durchschnittslohn liegt derzeit gerade einmal noch bei 300 Euro brutto im Monat. Und dass die Arbeitslosenquote lediglich 11,5 Prozent beträgt, liegt allein daran, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeiter zunächst in Kurzarbeit geschickt und nicht gleich entlassen haben.

„Das sind aber alles temporäre Erscheinungen“, sagt Andrij Melnyk. „In zwei bis drei Jahren wird sich die wirtschaftliche Lage wieder normalisieren.“ Der Botschafter hofft, dass sein Land im kommenden Jahr mit Hilfe Europas einen Neustart hinlegt. Einen Fortschritt konnte die Ukraine bereits beim Thema Schulden erzielen, der drohende Staatsbankrott konnte im Sommer durch einen 20-prozentigen Schuldenschnitt auf Staatsanleihen im Wert von 18 Milliarden Euro abgewendet werden.

Der nächste große Schritt soll mit dem Inkrafttreten des Freihandels- und Assoziierungsabkommens mit der EU erfolgen. Wenn nichts dazwischenkommt, fallen ab Januar 2016 etwa 95 Prozent der Zölle weg. Das soll dem Handel neuen Schwung geben. „Viele Unternehmen in der Ukraine konnten in den vergangenen Jahren wegen Moskauer Sanktionen nicht mehr nach Russland liefern, künftig können sie sich Richtung Westen orientieren“, erklärt Melnyk.

Mit der europäischen Annäherung wird jedoch auch unabhängig vom Konflikt mit Russland ein tiefgreifender Wandel einsetzen. Bislang war die Wirtschaft geprägt von Schwerindustrie, von der Metall-, Kohle- und Stahlverarbeitung. Schon jetzt ist absehbar, dass davon aufgrund veralteter Technik nicht mehr viel übrig bleiben wird.

Die Zukunft wird eher in der Leichtindustrie, im Bereich der Landwirtschaft und in der Ernährungswirtschaft liegen. Davon geht auch Alexander Markus, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Kiew aus. Er berät deutsche Firmen, die Geschäfte in dem Land machen und an Investitionen in der Ukraine interessiert sind. Er ist deshalb auch ein gefragter Experte bei der IHK Magdeburg.

„Viele Unternehmen denken ja, das ganze Land befindet sich im Krieg – dabei sind vom Konflikt nur drei Regionen im Osten betroffen“, erläutert Markus. Selbst in dieser schwierigen Zeit seien noch immer 2000 deutsche Firmen im Land aktiv. „Sie nutzen die niedrigen Löhne, um dort für den Export zu produzieren.“ Das Lohnniveau könnte auch ein Argument für Firmen aus Sachsen-Anhalt sein, dort produzieren zu lassen.

Zuletzt haben die Wirtschaftsbeziehungen jedoch kriegsbedingt gelitten, das zeigen vor allem die Export-Import-Zahlen. Die Firmen aus Sachsen-Anhalt lieferten nach Angaben des Statistischen Landesamtes nur noch Waren im Wert von 44 Millionen Euro in die Ukraine, 2012 lag der Wert noch bei 121  Millionen Euro. Und auch der Güterstrom aus der Ukraine nach Sachsen-Anhalt ist stark zurückgegangen.

Ist es also für neue Investitions-Abenteuer noch zu früh? Nicht unbedingt, sagt Markus. Viele Firmen seien bereits dabei, in neue Standorte zu investieren, um dort für den Weltmarkt zu produzieren. „Ein großes Hindernis ist allerdings noch immer die Korruption.“ Das räumt auch der ukrainische Botschafter ein. Andrij Melnik betont aber, dass sein Land bei der Korruptionsbekämpfung schon Fortschritte gemacht habe und künftig weitermachen wolle. „Es gibt inzwischen eine lebendige Zivilgesellschaft, die der Regierung auf die Finger schaut und schnelleres Reformtempo anmahnt.“

Der Konflikt mit Russland – das weiß auch Melnyk – wird in den kommenden Jahren jedoch eine Bürde bleiben. Nicht nur für die Wirtschaft, sondern für alle Menschen im Land.