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Atelierbesuch bei dem Maler Matthias Rataiczyk: Die Illusion von der Unsterblichkeit Das große Thema Werden und Vergehen

Von Jörg-Heiko Bruns 01.12.2012, 01:17

Die Kunstfreunde wissen schon, dass sich in der Talstraße 23 mit ihrem wunderbaren Felsengarten in Halle direkt an der Saale nicht nur die Galerie des Kunstvereins "Talstraße" befindet, sondern auch das Atelier des Malers und Grafikers Matthias Rataiczyk. Die Volksstimme besuchte ihn.

Halle l Rataiczyk ist Spiritus Rector der wunderbaren Ausstellungen, die seit 1994 in der Talstraße immer wieder Aufsehen erregen und eine grundsolide Arbeit für Kunst und Künstler verkörpern.

Er hat die Welt erfahren, im doppelten Sinne des Wortes, der Maler Matthias Rataiczyk. Nach der Wende unternahm er Studienreisen nach Italien, Spanien, Portugal, Malta, Marokko und in die Türkei, nach Yukatan in Mexiko, nach Thailand, Kambodscha und Burma. Mit seiner Studienreise nach China 2004 begann er, angesichts der seit 2000 Jahren versunkenen und noch nicht vollständig freigelegten Krieger des Kaisers, sich wieder mit figurativen Themen auseinanderzusetzen.

Und seit seinem Aufenthalt in Palermo haben es ihm die Mumien angetan. "Das Thema hatte mich schon seit meiner Kindheit immer wieder fasziniert", erzählt der Künstler freimütig.

Mumien aus der Kapuzinergruft in Palermo

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn man die bildgeschmückten Wände des Ateliers betrachtet. Davor und in Regalen stehen noch viel mehr der gemalten Schätze.

Da sind sie alle versammelt, die chinesischen Krieger von Xi\'an, die Trockenmumien aus der Kapuzinergruft in Palermo oder die Mumien, die er in Budapest und in Peru fand. Es ist nicht etwa ein Gruselkabinett, sondern eigenwilliges Zeugnis gelebten Lebens. Besonderer Höhepunkt dieser merk-würdigen Reisen in die Vergangenheit sind seine Erlebnisse in Peru, wo er, nach dem Überwinden der Anden in Leymebamba bei dünner Luft, auf die Mumien der Chachapoya traf.

"Schon allein die Aura des Raumes mit den ¿ewig Schlafenden\' hat mich unglaublich tief bewegt und zur Arbeit angeregt, es war wie im Rausch." Inzwischen ist auch eine seiner Arbeiten, "Peruanischer Traum", im Standardwerk "Mummies of the World" (Prestel-Verlag) abgebildet worden.

Es ist wieder das ewige Vanitas-Thema vom Werden und Vergehen, das den Künstler schon immer beschäftigte. "Die Mumien, egal ob in Europa oder Südamerika, sollen zwar die Zeit überdauern, aber auch die Erinnerungen der Menschen bröckeln wohl mit ihnen und einige Jahre später werden meine Bilder schon wieder anders aussehen", meint der Künstler.

Viele Anregungen aus der Architektur

Das gilt auch für die Ruinen von Angkor, die vom Urwald vereinnahmt wurden, wie für die chinesischen Krieger, die der Wüstensand zweitausend Jahre lang konservierte. Sie alle verkörpern auch Ruinöses, Brüchiges, Zerfallendes. Seit Matthias Rataiczyk - er wuchs im Haus Talstraße 23 auf, seine Eltern Rosemarie und Werner Rataiczyk hatten und haben hier Wohnung und Atelier - sein Diplom an der gegenüberliegenden Burg Giebichenstein abgelegt und sein Zusatzstudium absolviert hatte, verlief seine Entwicklung in überschaubaren Etappen. Von 1989 bis 1998 widmete er sich der Architektur, ihren Details und ihren Wirkungen in Sonne, Licht und Schatten und wieder dem Verfall.

Anregung fand er ausreichend in Halle, wo erst einmal mehr abgerissen als aufgebaut wurde. Auch in Mexiko und Marokko fand er Architektur-Motive. Stuck aus einer Villa in Halle regte ihn ebenso an wie die Zeichen an einer mexikanischen Pyramide.

Danach, von 1999 bis 2002, folgten seine Asienreisen. Die Auseinandersetzung mit der dortigen Kultur führte zu dem Zyklus "Wände von Lopburi" und der Bilderserie "Angkor", die nun auch Ornamentales und Florales einbeziehen und mit ihren Durchblicken und Einblicken einladen, im Detail das Ganze, das Große und seine Räumlichkeit zu erkunden.

Seinem Thema vom Werden und Vergehen folgt er schließlich auch in seinen Bildern und Zeichnungen, die von 2003 bis 2006 unter dem Titel "Memento mori" (Bedenke, dass du sterben musst) entstehen.

Tönerne Krieger-Plastiken und abgeschlagene Köpfe

Hatte den Studenten Rataiczyk die Figürlichkeit noch wenig interessiert, entstehen mit der Chinareise und dem dort Erlebten spannungsgeladene Reihen von Bildern und Zeichnungen, in denen sich tönerne Krieger-Plastiken und deren abgeschlagene Köpfe abwechseln.

Aus den Erlebnissen in China und den Begegnungen mit Mumien an verschiedenen Orten entstehen dann eigene Sichten.

So beispielsweise, wenn er den Fährmann Charon aus der griechischen Mythologie einsetzt, um ihn vor leuchtendem Rot in seinem Boot über den Styx gleiten zu lassen oder wenn eine hockende Mumie in der weiten Landschaft sitzt.

Zuweilen ist in den Zeichnungen ("Geistliche" oder Priester", beide 2005) ein leiser Humor nicht zu übersehen.

Inzwischen hat der stille, aber sehr intensive Künstler Matthias Rataiczyk seine detailreiche Auseinandersetzung mit der Architektur wieder aufgenommen. Wieder sind es Ein- und Durchblicke, die ihn zum Malen anregen, aber es sind auch schöne Ausblicke, wie das aufleuchtende Azurblau des Himmels erahnen lässt.

Und Optimist muss der Künstler schon sein, wenn er als Vorsitzender des Kunstvereins "Talstraße" e.V. die Erweiterung der Ausstellungsfläche durch einen Anbau plant.

Mit seinem Atelier muss er dann in andere Räume der Villa ziehen, alles ist Werden und Vergehen und erneutes Erwachen und Erblühen ...