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Briefaffäre Stasi-Akten entlasten Peter Gaffert

Entlastung für Peter Gaffert: Der Wernigeröder Oberbürgermeister hatte nach dem Wehrdienst keine Kontakte zur Stasi.

Von Dennis Lotzmann 12.09.2015, 01:01

Wernigerode l 1. September 1979 bis 31. August 1982: Drei Jahre, die Peter Gaffert heute am liebsten aus seinem Leben löschen würde. „Es war eine verlorene Zeit und Stumpfsinn zugleich.“ Jene drei Jahre, in denen das heutige parteilose Stadtoberhaupt von Wernigerode in der Wacheinheit „Robert Mühlpforte“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS/Stasi) gedient hat. In der Bezirksverwaltung des DDR-Geheimdienstes am Gimmritzer Damm in Halle hat Gaffert seinen verlängerten Grundwehrdienst absolviert. Als Wachposten, wie der der Volksstimme vorliegenden Stasi-Personalakte zu entnehmen ist.

Die rund 100 Seiten umfassende Akte mit zahlreichen Beurteilungen sowie Stasi-typischen Registrierblättern zeichnet das Bild eines damals 19 Jahre alten DDR-Bürgers, der berufliche Ziele und Wünsche hatte und sich dafür linientreu verhielt. So, wie es zig Tausende junge Männer in der DDR taten, um zum Wunschstudium zugelassen zu werden und den Weg zwischen Schule, Wehrdienst und Studium ohne Verzögerungen zu gehen. Und die Akte bestätigt Gafferts im Frühjahr abgegebene Erklärung, wonach er niemandem geschadet und es nach dem Wehrdienst keine weiteren Kontakte zur Stasi gegeben habe.

Der Wernigeröder Oberbürgermeister war im Frühjahr in die Kritik geraten, nachdem er Fragen zu seinem Wehrdienst zunächst falsch beantwortet hatte. Später geriet er ins Kreuzfeuer, weil im Rathaus ein Brief an die bündnisgrüne Stadträtin Sabine Wetzel geöffnet und damit die immer noch schwelende Briefaffäre ausgelöst wurde. Darin stellte ein anonymer Schreiber Verbindungen zur Staatssicherheit her.

Die aber hat es laut Akten nur während der Wehrdienstzeit gegeben. Mehr noch: Wenige Tage vor Gafferts Entlassung fertigte ein Major eine Aktennotiz: „Gen. Gaffert hat kein Interesse nach dem Studium Berufssoldat im MfS zu werden.“ Ein Satz, der am 23.  August 1982 das planmäßige Ende der von Anfang an zeitlich befristeten Liaison zwischen Gaffert und dem Geheimdienst untermauert.

Gut drei Jahre zuvor – Anfang 1979 – hatte sich eben jenes Zweckbündnis zwischen Peter Gaffert und der Stasi angebahnt. Gaffert, der in „geordneten sozialen und familiären Verhältnissen“ aufwuchs, wie Spitzel zusammentragen, glänzt in der Polytechnischen Oberschule nicht nur mit guten Leistungen, sondern auch mit gesellschaftlichem Engagement. Der Jugendliche aus dem Mansfeldischen darf auf die Erweiterte Oberschule, um sein Abitur zu machen.

Ein Schritt, der den passionierten Funker seinem Berufsziel ein gutes Stück näher bringt. Peter Gaffert will Funkoffizier bei der Handelsmarine werden und auf der Ingenieurhochschule in Warnemünde-Wustrow studieren. „Das war mein Favorit, alternativ lockte mich der Forstbereich“, erinnert sich der heute 55-Jährige im Gespräch mit der Volksstimme. Beides seien begehrte Studienrichtungen gewesen.

Entsprechend angepasst ist Gaffert unterwegs. So fällt er schon Monate vor seiner Einberufung der Stasi auf. Erste Dossiers entstehen. Spitzel aus dem Wohnort, darunter Bürgermeister, Abschnittsbevollmächtigter, zwei Genossen der Oberschule sowie interne Recherchen bei der Stasi belegen, dass nichts gegen den dreijährigen, freiwillig verlängerten Wehrdienst bei „Horch und Guck“, so die Stasi im Volksmund, spricht. Drei Jahre Wehrdienst waren zu dieser Zeit obligatorisch, um studieren zu können.

Wie es damals, vor 36 Jahren, zur Anbahnung kam, könne er heute nicht mehr sagen, so Gaffert. „Es war wohl alles im Zuge der Wehrdienst-Musterung. Vielleicht hat es auch Leute gegeben, die mich vorgeschlagen haben.“

Fakt ist: Gaffert wird Kandidat für die spezielle Wachtruppe von Stasi-Minister Erich Mielke. Entsprechend eng ist im Frühjahr 1979 der Kontakt zwischen dem 18-Jährigen und der Stasi-Kreisdienststelle. Und: So, wie Gaffert zum Anwärter beim Wachregiment wird, wird er selbst zur überwachten Person. Ende März 1979 erklärt er in einer Aussprache, noch keine Freundin zu haben. Wenige Tage später muss er sich verpflichten, etwaige Änderungen sofort der Stasi mitzuteilen.

Doch warum überhaupt das Stasi-Wachregiment in Halle? „Ich wollte nicht irgendwo am anderen Ende der Republik landen, Halle war recht nah“, so Gaffert heute. Beweggründe, die damals viele Wehrpflichtige umtrieb – die Kasernen in Prora auf Rügen und in Eggesin in der Uckermark oder gar Dienst bei den Grenztruppen galten als das Schlimmste, was einem passieren konnte.

Am Ende steht der Termin: Am 1. September 1979 hat Gaffert sich Punkt 8 Uhr mit militärischem Haarschnitt sowie Anzug und Krawatte bei der Stasi-Bezirksverwaltung in Halle zu melden.

Die kommenden drei Jahre absolviert er laut Akte, ohne anzuecken. Nach der Grundausbildung steigt der monatliche Sold von 300 auf 425 Mark. Der parteilose Gaffert kassiert keine Strafen und erhält dreimal Sonderurlaub oder verlängerten Ausgang. Und er wird planmäßig bis zum Unteroffizier befördert.

Rückblickend drei Jahre ohne Sinn, sagt Gaffert heute. „Wir lebten in Baracken auf dem Gelände der Bezirksverwaltung und mussten irgendwelche Häuser vor einem Feind beschützen, den es eigentlich nicht gab.“ Seine Ernüchterung sei schnell eingetreten. „Ich habe erkannt, dass ich auf einem falschen Weg war. Aber es gab zu diesem Zeitpunkt kein Zurück mehr. Aus heutiger Sicht war all das sicherlich eine unbedachte Entscheidung.“

Und es wartet noch eine böse Überraschung auf Gaffert. Sein Traum, nach der Stasi-Episode auf die Seefahrtsschule in Wustrow zu gehen, platzt trotz vorliegender Immatrikulation. Warum? „Keine Ahnung, das weiß ich nicht“, sagt er heute. Ist er irgendwo angeeckt? „Das kann sein.“

Die persönliche Ernüchterung hat Folgen. Zumindest findet sich in der fast durchweg positiven Abschlussbeurteilung, die im Juli 1982 formuliert wird, auch ein Aber: Die Vorgesetzten bescheinigen ihm Einsicht in die „erhöhten Anforderungen“ an jene Stasi-Diensteinheit. Er „tritt jedoch nicht immer dementsprechend und für andere Genossen überzeugend auf“, heißt es.

Fakt ist: Die Offerte, als Berufssoldat weiter beim MfS zu bleiben, lehnt er klar ab. Der Major, der Gaffert im August 1982 befragt, hält in seiner Aktennotiz dessen Verärgerung wegen des gescheiterten Studiums fest. Eigentlich sollte der dreijährige Dienst eine Vorbereitung aufs Schifffahrts-Studium sein. Nun platzen diese Pläne just wegen der Stasi-Zeit: „Nach dem Dienstantritt in der Wacheinheit mußte er erfahren, daß wegen des Dienstverhältnisses beim MfS ein Arbeitsverhältnis bei der Seereederei nicht möglich ist. Aus diesen Grund mußte der Gen. Gaffert das Studium aufgeben.“

Wenige Tage später endet Gafferts dreijähriger „Ehrendienst“ beim Wachregiment. Er wird Reservist, geht für ein Jahr als Praktikant ins Forstamt Wippra und studiert Forstwirtschaft in Dresden.

Ob es unter anders Vorzeichen anders gekommen wäre? Gaffert verneint dies klar: „Ein militärischer Beruf ist einfach nicht mein Ding.“ So wird seine Stasi-Personalakte Anfang September 1982 archiviert. Hinweise auf weitere Kontakte mit dem Geheimdienst oder gar Bespitzelungen finden sich nicht. Im Gegenteil: Die 100 Aktenseiten lassen erkennen, dass Gaffert selbst zum überwachten Mensch geworden ist.

Peter Gaffert hofft, dass die Diskussionen um seine „Stasi-Vergangenheit“ nun einen Abschluss findet. Dass er selbst maßgeblich mit dazu beitrug, dass die Geschichte von vor über drei Jahrzehnten im Jahr 2015 hoch kochte, sieht er heute selbst auch so. Gaffert hatte im Frühjahr, als Fragen rund um seinen DDR-Wehrdienst aufgekommen waren, zunächst gelogen und erst später scheibchenweise den Dienst bei der Stasi eingeräumt. Dass ein klarer Schritt nach vorn und völlige Offenheit der bessere Weg gewesen wären – „rückblickend betrachtet ist das richtig“, sagt er. Zumal laut Aktenlage wirklich nicht mehr war als drei Jahre Wehrdienst bei einer Wachabteilung des DDR-Geheimdienstes.