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Harzer Landwirte Milchbauern mit dem Rücken an der Wand

Milchbauern im Harz schlagen Alarm: Wenn die Politik nicht kurzfristig eingreife, drohten vielen Milchviehbetrieben das Aus.

Von Dennis Lotzmann 09.06.2016, 01:01

Derenburg/Langenstein l Der sogenannte Milchgipfel im fernen Berlin? Milchviehbauern im Harz haben für das Treffen mit Bundes-Agrarminister Christian Schmidt (CSU) und die Ergebniss nur ein müdes Lächeln übrig: „Eine Katastrophe für die Tierproduktion“, sagt die Chefin der Agrarproduktivgenossenschaft Derenburg-Heimburg, Ute Scheller.

„Eine Lachnummer“, bilanziert der Langensteiner Landwirt Jürgen Meenken mit Blick auf die von Schmidt zugesagten 100 Millionen Euro. „Rechnerisch sind das etwa 1500 Euro pro Betrieb – ein Tropfen auf den heißen Stein“, so der Milchausschuss-Vorsitzende im Deutschen Bauernbund. Es müsse, so die beiden Betroffenen unisono, ganz, ganz schnell etwas passieren. Andernfalls gingen zuhauf Betriebe in die Knie – mit fatalen Konsequenzen für die ländlichen Regionen.

Ute Scheller hat nach eigenen Worten rund 300 Kühe im Stall stehen. „Wir produzieren mit rund 200 000 Litern Milch pro Monat nicht mehr als vor dem Wegfall der Milchquote im Frühjahr 2015“, berichtet sie. „Nur der Preis ist seither in den Keller gerutscht. Aktuell bekomme sie 19,5 Cent pro Kilogramm. „Die Grenze, um wirtschaftlich agieren und auch investieren zu können, liegt bei 38 Cent.“

Im Moment, so die Unternehmerin, sei die Lage so fatal, weil nicht nur der Milchpreis im Keller sei, sondern auch der Getreidepreis. „Wir können daher nicht mehr quersubventionieren, sondern leben von der Substanz. Im Moment verbrennen wir jeden Tag Geld – bis zu 40 000 Euro pro Monat.“

Eine Situation, die ihr Langensteiner Kollege Meenken bestätigt. „Ich habe noch mal 400 000 Euro bei der Bank aufgenommen, damit ich bis zum Jahresende komme. Spätestens dann wir es richtig eng“, so der Landwirt, der 470 Tiere im Stall hat. Investitionen und Reparaturen: „Wir fahren seit Monaten auf Verschleiß.“

Einig sind sich Scheller und Meenken, dass der Wegfall der einstigen Mengenbegrenzung eine maßgebliche Ursache für die jetzige Situation ist. „1984 hatten wir Butterberge und Milchseen. Deshalb wurde vom damaligen Landwirtschaftsminster Ignaz Kiechle die Milchquote eingeführt, um die Betriebe nicht komplett der Marktwirtschaft zu unterwerfen“, erinnert Meenken. Diese Mengenbegrenzung sei richtig gewesen. Schließlich funktioniere die reine Marktwirtschaft im Milchbereich nicht.

Obendrein sei den Landwirten mit dem Wegfall der Quote eine falsche Perspektive gegeben worden. „Damals war Export das Zauberwort – wenig später brachen aber die Märkte in China und Russland ein“, beschreibt Meenken das Dilemma. Zugleich hätten sich Landwirte, die auf eben jenen Export setzen wollten, verschuldet. „Und was macht ein Bauer, den Schulden drücken und der viele Kühe im Stall stehen hat? Richtig: Er produziert, um Umsatz zu generieren, und vergrößert so den Milchsee weiter und drückt die Preise“, skizzziert Meenken die fatale Spirale.

Jene Spirale sei jedoch nur ein Aspekt, so der Ausschuss-Vorsitzende. Ein weiteres Problem sei die Abnahme- und Weiterverarbeitungskette: „Die Bauern liefern ihre gesamte Milch bei den Molkereien ab, die verarbeiten und vermarkten sie weiter. Und erst nach Wochen erhalten die Bauern ihre finanzielle Vergütung“, beschreibt Meenken die Realität. Konsequenz für die Landwirte: „Sie müssen den Preis schlucken, den die Molkereien zahlen, und haben keinen Verhandlungsspielraum. So funktioniert aber keine Marktwirtschaft.“

Doch genau darauf werde sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene gesetzt, ergänzt Ute Scheller. „Dabei sind die Rahmenbedingungen, beispielsweise in Deutschland und Irland, nicht vergleichbar. Wir haben in Deutschland bei der Tierhaltung die höchsten Standards und Vorgaben, wir haben den Mindestlohn. All das gibt es woanders nicht. Deshalb muss die Regierung eingreifen und uns ebenso unterstützen wie die Flüchtlinge“, fordert die Agrarchefin.

Ute Scheller sieht Handlungsbedarf: „Wir leisten einen harten Job und arbeiten bei minus 30 Grad ebenso wie bei plus 30 Grad. Bei den Milchkühen sind Arbeitszeiten von 5 bis 9 Uhr und von 14 bis 18 Uhr Alltag, Feiertage gibt es nicht – wer will das schon machen? Wir wollen für unsere Arbeit nur angemessen honoriert werden.“

Die Derenburger wollen in den nächsten Monaten entscheiden, ob und wie es mit ihren Kühen weitergeht. An dieser Frage hänge auch das Schicksal von sechs Beschäftigten. „Und letztlich geht es auch um die Frage, was aus den Dörfern wird.

Auf rasche Schritte drängt auch Meenken: „Erst muss eine Quote her, damit der Preis anzieht. Dann müssen vertragliche Regelungen zwischen Landwirten und Molkereien her – wer liefert welche Menge in welcher Qualität und zu welchem Preis?“