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Heimatgeschichte Die Schrote teilt ein Dorf

Über Jahrhunderte schon lebt Niederndodeleben mit der Schrote. Nicht immer im Einklang.

Von Hartmut Hasenkrug 15.04.2016, 23:01

Niederndodeleben l Unser altes Dorf Niederndodeleben wird durch ein kleines Bächlein, die Schrote, in zwei Teile geteilt. In West-Ost-Richtung fließt sie durch unsere Ortschaft. Die Ansiedlungen an diesem Bach erfolgten bereits vor über 1079 Jahren an der Nord- und Südseite.

937 wurde der Ort Dudulon zum ersten Mal urkundlich genannt – in der Schenkungsurkunde Otto I. an das Moritzkloster in Magdeburg. Die Besiedlung erfolgte jedoch schon früher. Es waren vor allem landwirtschaftlich geprägte Anwesen, die sich dort niedergelassen haben.

Entspringt die Schrote im westlich gelegenen Ort Hemsdorf in einem ehemaligen Kuhstall, verläuft sie durch die Feldmark, mit kleinen Zuflüssen zu einem Bächlein in Richtung Osten bis Magdeburg. Der Verlauf ist dann in nordwestlicher Richtung bis zur Ohre, in die es nach einer Strecke von etwa 39 Kilometern einmündet.

Das war aber nicht immer so, denn bis zum 13. Jahrhundert mündete die Schrote direkt in die Elbe, deren westlicher Verlauf im Urstromtal lag. Veränderungen des Elbeverlaufes in den nachfolgenden Jahrhunderten bis zum derzeitigen Stand lassen die Schrote im alten Elbebett fließen, vorbei am Neustädter See, dem Barleber See bis zu ihrem Mündungsfluss.

Wer schon lange in unserem Dorf lebt, kennt sie auch anders. Der innerörtliche Verlauf war nicht so geradlinig wie heute. Rechtwinklige Abbiegungen an der Karl-Liebknecht-Straße / Schulstraße waren eine Staustelle bis zur Begradigung 1975. Bedingt dadurch war vor allem im Frühjahr, wenn Schneeschmelze, frostige Böden und Starkregen vorherrschten. Hochwasser vorprogrammiert. Die Schrote trat über ihr Ufer und überschwemmte Teile des tiefliegenden Dorfes. Gärten, Keller, Ställe, Scheunen, aber auch Wohnbereiche standen unter Wasser und wurden stark geschädigt.

Ansonsten war es friedlich!? Die Kinder als Anlieger haben sehr gern und oft an und in der Schrote gespielt, Wasserräder gebaut, Stichlinge gefangen und allerhand Schabernack getrieben.

Ein Liedchen wurde gesungen: An der Schrote hellem Strande / tummelt sich 'ne Räuberbande, / ihre Knüppel sind zerbrochen / und der Wind pfeift durch die Knochen, / Steine fliegen drüber hin.

Für einige Kinder war die Schroteböschung eine Abkürzung zur Hauptschule und zurück. Eine Beschulung in unserem Ort ist in alten Kirchenunterlagen nachweislich 1586 mit dem Eintrag erwähnt: „10 Bretter (Bänke) zur Stube in der Küsterei geliefert“. 1603 lässt die Kirche die Fenster „in der Schule“ flicken (aus der Chronik „1000 Jahre Niederndodeleben“ vom Danneil).

Als die Schule ihr 400-jähriges Bestehen feiern wollte und der Schulleiter zu diesem Anlass um Unterstützung vom Landkreis bat, wurde ablehnend geantwortet: 40 Jahre Schule sei kein würdiges Ereignis. Man hatte den Niederndodelebern wohl keine 400 Jahre andauernde Schulbildung zugetraut.

Die Schrote markiert mit ihrem Verlauf die tiefste Lage des Ortes. Mehrere Übergänge sind erforderlich, um die beidseitigen Ortsteile zu verbinden. Drei Straßen- und vier Fußgängerbrücken gibt es in der Ortslage. Die Straßenbrücke Berendseen – über 100 Jahre alt und in einem maroden Bauzustand – genau wie die Straßenbrücke am Gartenweg. Die Straßenbrücke Friedensstraße / Magdeburger Straße wurde mit dem grundhaften Neuausbau der Straße als moderner Stahlbetonbau 2008 neu errichtet. Die Fußgängerbrücke Karl-Liebknecht-Straße / Schulstraße, als Ersatzneubau nach der Schrotebegradigung errichtet, ist noch begehbar, ebenso die am Dorfteich und Schrotegang (Hagenwinkel / Friedrich-Ebert-Straße) und die Holzbrücke am Gartenweg.

Nach der Anzahl der Brücken könnte unser Ort auch „Klein Venedig“ genannt werden. Es war aber ganz anders. Viele Familien hatten vor den 1950er-Jahren zur Eigenversorgung eine Kleintierhaltung. Kaninchen, Hühner, Enten, Gänse, Tauben, Schweine und Ziegen gab es in einer so großen Anzahl, dass unser Dorf von bösen Zungen „Zickendolä“ genannt wurde. Wobei nicht nur unser Ort, sondern auch die umliegenden ihren Spitznamen hatten.

Der zweite böse Rufname war „Dolä-dumm“. Das rührt aus der Zeit, in der sich der Ackerbau überwiegend auf den Anbau der Zuckerrübe stützte und die „Rübenbarone“ ihr „leicht verdientes Geld“ in der Großstadt Magdeburg verjubelten, bis die Überproduktion und die fehlende „Dreifelderbewirtschaftung“ ihre dunklen Auswirkungen zeigte.

Die Schrote bekam auch ihren Teil ab. Mit dem Bau der Zuckerfabrik 1872 wurde zur Rübenwäsche in der Kampagnezeit Schrotewasser aufgestaut und abgepumpt. Auch die beiden Zichoriendarren benötigten Schrotewasser. Das anfallende Abwasser wurde in die Schrote abgelassen.

Nachdem die Schrote die Ortslage verlassen hat, ist der Verlauf in Ostrichtung durch die Feldmark bis vor Magdeburg fast ungehindert. Ein vorgelagerter Staudamm soll bei Hochwasser regulierend wirken und die Stadtteile Diesdorf und Stadtfeld vor Überschwemmungen schützen. Mit dem Neubau der Autobahn 14 musste das Schrotetal überwunden werden. Eine 500 Meter lange Hochbrücke überquert das Tal und die Schrote. Das winzige Bächlein ist dabei kaum zu sehen, der Verkehr braust ungebremst darüber hin.

In der Stadt verläuft die Schrote offen bis zum Ende der Goethestraße, um dann bis zur Nordgrenze des Neustädter Feldes unterirdisch im Kanal abzutauchen. Eine offene Unterbrechung gibt es noch von der Wasserkunststraße bis zum Ende des Magdeburger Zoos, wo sich die Pelikane wohlfühlen.

In den frühen Vorzeiten wurde das Wasser genutzt zum Betreiben einer Wassermühle und von Viehtränken, dann, wie schon genannt, nach 1870 für die aufkommende örtliche Industrie.

Nach den 1950er-Jahren begann in unserem Ort im großen Maße die Modernisierung der Wohnbereiche mit Bad und WC. Das Dorf Schnarsleben wurde „zwangseingemeindet“ und auch die landwirtschaftliche Umgestaltung der LPG erfolgte.

Anfallende Abwässer wurden zum Teil ungeklärt in die Schrote eingeleitet. Bei Niedrigwasser war der Bach fast zur Kloake verkommen. Mit der Schmutzwasserkanalisierung des Dorfes hat sich das nach der Wende grundlegend geändert. Die Schrote ist ein klares Gewässer geworden.

Sie zerteilt immer noch die Ortslage. Die Straßenbrücken sind stark frequentiert. Früher, als die Bewohner als Pendler mit dem Zug nach Magdeburg zur Arbeit, Schule, Studium oder sonstigen Anlässen fuhren, war eine kleine Völkerwanderung in der Bahnhofstraße. Alle Fahrgäste aus dem Norden mussten über die Brücken der Schrote – morgens von Nord nach Süd und abends umgekehrt.

Der Bach hat das Dorfleben mit geformt. Heute läuft der Hauptverkehr nur noch über die neue Brücke, denn die meisten Pendler aus dem Süden des Ortes und den Neubaugebieten nehmen das Auto.

Dudulon und die Schrote, wie hat sich das verändert.

Viele Neubürger sind dazugekommen. Der Ort hat etwa 4290 Einwohner und gehört als Ortsteil Niederndodeleben zur Gesamtgemeinde Hohe Börde. Es wird wohl noch eine Zeit dauern, bis die Schrote sich daran gewöhnt hat.