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Acht Welpen Der Wolf erobert die Klietzer Wälder

War bisher nur von durchziehenden Einzelgängern die Rede, ist nun sicher, dass der Wolf die Klietzer Wälder erobert hat.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 30.12.2016, 12:55

Klietz l Wildkameras belegen es: Ein Rudel mit acht oder neun Welpen – einer davon könnte bereits ein Jährling sein – streift durch die Wälder zwischen Klietz, Schollene und den Dämmen. „Es gibt inzwischen zwei Generationen“, bestätigt Birgit Büttner, die beim Bundesforstamt Klietz seit 2009 als Wolfsbeauftragte tätig ist. Damals gab es erste Sichtungen, von durchziehenden Einzelgängern war die Rede. „Wir merkten zu diesem Zeitpunkt die ersten Veränderungen beim Wild. Vor allem Rotwild und Muffel bildeten Großrudel, um geschützter vor den Wölfen zu sein. Inzwischen gibt es mit Bildern, Videos, Kot-Untersuchungen und Sichtungen von Jägern, Soldaten und Zivilbeschäftigten des Truppenübungsplatzes zahlreiche Beweise dafür, dass der Wolf auch im Norden Sachsen-Anhalts heimisch wird.“

Das bestätigt Martin Trost, beim Landesumweltamt in Halle für Wölfe zuständig. „Der Bestand nimmt kontinuierlich zu. Belegt ist im Klietzer Bereich ein Rudel mit Welpen, alles andere sind Spekulationen.“ Laut Monitoringbericht für den Zeitraum Mai 2015 bis April 2016 gibt es in ganz Sachsen-Anhalt 13 Bereiche, in denen über 70 Wölfe angesiedelt sind. Zwei illegale Abschüsse gab es, außerdem zwei bei Verkehrsunfällen getötete Wölfe.

Die über zehn Wölfe in den Wäldern im Dreieck Klietz/Schollene/Dämme brauchen natürlich Nahrung, drei bis fünf Kilo sind es pro Tag, im Winter wegen des erhöhten Energieverbrauches etwas mehr. Und das macht sich inzwischen beim Wildbestand bemerkbar. Birgit Büttner erklärt, dass das seit 1976 hier angesiedelte Muffelwild nahezu ausgelöscht ist. „Es gibt nur noch ganz vereinzelt Sichtungen von starken Widdern, Lämmer kommen gar nicht mehr durch.“ Bei den vier Jagden, zu denen das Bundesforstamt in dieser Saison geladen hatte, war das Ergebnis mäßig, „bei der letzten Jagd Mitte Dezember war es gerade mal ein Drittel der üblichen Strecke. Und es gab auch wenig Sichtungen von Wild“, berichtet Birgit Büttner von Gastjägern, die diese Entwicklung bedauern. Denn sie hatten in den zurückliegenden Jahren die Vielzahl des Wildes geschätzt, vor allem die Anwesenheit der Muffel.

Die Wolfsbeauftragte beo­bachtet die Situation mit steigender Besorgnis. „Das Verhalten des Wildes wird sich grundlegend verändern. Es kommt zur Großrudelbildung beim Rotwild und verstärkter Aggressivität beim Schwarzwild. „Und der Wolf verliert auch mehr und mehr die Scheu vor Menschen. Im benachbarten Land Brandenburg wird bereits darüber diskutiert, ihn in das Jagdrecht aufzunehmen, die Politik muss hier eine einheitliche Vorgehensweise festlegen.“

Das fordert auch Hubert Aselmeyer. Für den Rehberger, auch als Jäger aktiv, ist die Sorge um die Jagd zweitrangig, „vielmehr wird der Wolf für uns Landwirte mit Nutzvieh existenzbedrohend“. Er schildert verschiedene Fälle aus jüngster Zeit. „Gerade erst vor vier Wochen sind drei Jungwölfe beobachtet worden, die aus einer unserer Herden kamen. Bei der Kontrolle entdeckten wir ein gerissenes, halb aufgefressenes Kalb, am nächsten Tag war ein weiteres Tier tot. Immer häufiger werden Wölfe in der Nähe unserer Herden gesehen.“ 500 Tiere stehen auf den Weiden in der Gemarkung Rehberg/Molkenberg. Sie sind zwar gut eingezäunt, „aber Sicherheit vor dem Wolf bietet der Zaun nicht! Wir bräuchten 29 Kilometer fünfsträhnigen Zaun, der unter Strom steht, die unterste Litze dürfte nicht höher als 20 Zentimeter vom Boden entfernt sein, damit der Wolf sich nicht durchzwängen kann. Aber das ist gar nicht umsetzbar, weil diese Strähne sofort vom Gras einwachsen würde. Und außerdem kann so ein Wolf wohl auch drüberspringen.“

Dreimal sind die Herden von Hubert Asylmeyer bereits ausgebrochen – getrieben von Wölfen. „Was ist, wenn die Kühe auf die Straße laufen und ein Unfall passiert?“ Die Sorge vor dem Frühling, wenn die kalbenden Kühe und der Nachwuchs relativ schutzlos und somit einfache Beute sind, ist groß. Der Landwirt glaubt an mehr als nur ein Rudel mit den derzeit acht, neun inzwischen ausgewachsenen Welpen, „ich gehe von knapp 20 Tieren aus. Noch ist die Zahl überschaubar. Aber was ist in drei Jahren? Noch haben wir hier einen großen Wildbestand. Aber den wird es nicht mehr lange geben. Und dann wird der Wolf verstärkt auf das Nutztier zurückgreifen – das ist auch einfacher zu jagen als ein Reh im Wald.“

Zu den beobachteten Veränderungen beim Wild gehört auch, dass es sich vermehrt auf Freiflächen und nicht mehr im Wald aufhält. „Diese Freiflächen befinden sich an Straßen – es wird also zu noch mehr Wildunfällen kommen. In diesem Herbst sind allein auf der Straße von Rehberg nach Molkenberg 17 Tiere durch Zusamenstöße mit Autos verendet“, berichtet Hubert Aselmeyer. Ihm liegen diverse Fotos und auch Videos vor, die Wölfe am Rathenower Stadtrand, nahe einer Schule, zeigen. Auch nahe der Ortschaften wie am Schönhauser Damm gibt es immer häufiger Sichtungen, der Wolf zeigt dabei kaum Scheu.

Ein Wolfs-Elternpaar mit acht, neun Welpen ist gegenwärtig belegt, die Dunkelziffer könnte höher sein. „Deshalb wäre es schön, wenn Bürger, die Fotos oder Videos haben, uns dieses Material zur Verfügung stellen“, bittet Birgit Büttner um Mithilfe. Fundierte Aussagen könne man nur treffen, wenn man sie auch belegen kann – Bildmaterial ist dafür am besten geeignet. Zu senden bitte an birgit.buettner@bundesimmobilien.de .

Einer, dem solche Aufnahmen mit der Wildkamera gelungen sind, ist Dirk Rahnfeld aus Klietz. Er ist gelernter Schäfer und arbeitet als Zivilbeschäftigter bei der Bundeswehr. Schon als Kind hat er sich mit dem Wolf beschäftigt, ist heute bestens mit dem Thema vertraut. „Man sollte nicht in Hysterie verfallen! Den Wolf zu verteufeln, ist nicht realistisch, gehört er doch nun mal in unsere Natur und spielt hier eine ökologisch sanitäre Rolle bei der Wildregulation. Zu einer intakten Natur gehört er genau so dazu wie Fuchs, Reh oder Wildschwein. Die Population regelt die Natur von allein, das ständige Eingreifen des Menschen verändert die Natur zu immer stärkeren Ungleichverhältnissen. Der Wolf nimmt nach einer kurzen Test­hetze in erster Linie alte, kranke, schwache oder noch sehr junge unerfahrene Tiere als Beute. Also alles Tiere, deren Reproduktionsfähigkeit stark heruntergesetzt ist, was zur Gesundung des Wildbestandes beiträgt. Natürlich müssen auffällige Wölfe entnommen werden.“

Als gelernter Schäfer berichtet Dirk Rahnfeld, dass früher mehrere Hütehunde mit Schäfer zu einer Schafherde gehörten, „heute wird die Herde oft eingezäunt und allein gelassen“. An erwachsene Kühe und Pferde wage sich der Wolf nur schwerlich heran, ihnen ist er körperlich unterlegen. Unbeaufsichtigte Kälber sind dagegen schon eher seine Beute.

Wichtig sei, vor allem die jungen, unerfahrenen Wölfe zu vergrämen, wenn sie sich in der Nähe des Menschen zeigen. Denn ihnen fehlt die Scheu und die Erfahrung, dass vom Menschen Gefahr ausgehen könnte. Wie die Sichtungen in letzter Zeit zeigen, ergreifen sie durch ihre Neugier nicht immer das Weite, wenn sie Autos oder Menschen sehen.