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IntegrationDeutsche Minderheit an Magdeburger Schule

2008 hatten an einer Grundschule in Magdeburg rund zehn Prozent der Schüler einen ausländischen Pass. 2017 sind es über 60 Prozent.

Von Katja Tessnow 11.07.2017, 01:01

Magdeburg l „Die Kinder sind nicht unser Problem“, möchte Dirk Schumeier, Schulleiter an der Grundschule "Am Umfassungsweg" in Magdeburg, unbedingt betont wissen. „Das sind tolle Kinder!“ Schumeier schwärmt von bewegungsfreudigen Jungs, die „noch auf Bäume klettern können“ und nennt sie „Rohdiamanten“.

Um den richtigen Schliff für die Kinder – einen, der sie befähigt, später ordentliche Abschlüsse zu erlangen und im Berufsleben ihren Mann oder ihre Frau zu stehen – hat der Schulleiter allerdings inzwischen einige Sorge. „Wir müssen uns entscheiden: Lassen wir sie verwahrlosen oder machen wir was aus ihnen?“ Die Antwort liegt für Schumeier auf der Hand, allerdings sind seinem Engagement und dem des Kollegiums enge Grenzen gesetzt.

Von heute 209 Schülern der Neustädter Schule stammen 127 aus dem Ausland; 82 von ihnen sind erst weniger als eineinhalb Jahre im Land, entstammen also frisch zugewanderten Familien. Am Umfassungsweg lernen Kinder aus 24 Nationen, wobei unter den Ausländern nicht Flüchtlinge die größte Gruppe stellen, sondern Osteuropäer, deren Eltern in der Hoffnung auf besser bezahlte Arbeit nach Deutschland zogen.

Allein 60 Schüler kommen aus Rumänien – der wachsende Nachwuchs aus der benachbarten und ebenfalls wachsenden Rumänen-Gemeinde im Umfeld des Moritzplatzes – ein weiteres Dutzend Schüler kommt jeweils aus Griechenland und Syrien, daneben aus aller Herren Länder.

„Elternabende bieten wir inzwischen in vier Sprachen an, auf Deutsch, Russisch, Englisch und Rumänisch“, berichtet Schumeier und weiter vom „rumänischen Elterncafé“, das wöchentlich öffnet und auch den Eltern der Schüler Hilfe zum Beispiel bei der Übersetzung amtlicher Schreiben bietet. „Eine Rumänin aus der Nachbarschaft dolmetscht ehrenamtlich. Sie ist unser Schlüssel in die Familien.“

„Bis vor einigen Jahren funktionierte das sehr gut mit dem Erlernen der Sprache. Wir waren eine der ersten Schulen, die in Kooperation mit einer Privatschule spezielle Sprachförderung angeboten hat“, erzählt Schumeier. Nicht selten hätten ausländische Schüler zum Beispiel den Wettstreit um die Lesekrone gewonnen – die Auszeichnung steht für ausgezeichnete Lesefähigkeiten – auf Deutsch natürlich.

Bei guter Förderung hätte im Schnitt die Hälfte der ausländischen Schüler nach einem halben Jahr problemlos dem Unterricht auf Deutsch folgen können; die andere Hälfte brauchte ein Jahr. Sechs- bis Siebenjährige seien in der Regel Sprachtalente – wenn das Umfeld stimme. Dass heute zunehmend Probleme schon beim Spracherwerb an der Grundschule auftreten, dafür kann Schumeier einleuchtende Gründe benennen.

Mit der rasanten Zuwanderung von Flüchtlingen (2015) und parallel stark einwandernden Osteuropäern stieg der Ausländeranteil an der Schule massiv und Jahr für Jahr auf heute über 60 Prozent. Die Schülerzahl an der Grundschule wächst generell, weil zur Zuwanderung auch noch steigende Geburtenraten kommen. Die Räume an den Magdeburger Schulen werden knapp.

Parallel dazu kaschiert das Land Sachsen-Anhalt Probleme bei der Personalausstattung der Schulen mit Optimierungsgeboten im neuen Erlass zur Unterrichtsorganisation ab 2017/18. Pro Schüler werden weniger Lehrerstunden zugeteilt. „Weil das Land zum neuen Schuljahr neben der allgemeinen Stundenzuweisung pro Schüler auch den erhöhten Faktor für Schüler mit Förderbedarf gekürzt hat, sind wir doppelt betroffen“, sagt Schumeier.

In Summe stünden seiner Schule bei steigender Schülerzahl und steigendem Ausländeranteil knapp zwei Lehrkräfte weniger zur Verfügung. Von drei Sprachlehrerstellen sei eine geblieben.

Noch dazu: Wegen der steigenden Schülerzahl müssen ein Hort- und ein Fachraum zu Klassenräumen umfunktioniert werden. Zu den personellen Problemen kommen räumliche.

Parallel schrumpften auch jene natürlichen Räume, zum Beispiel auf dem Schulhof, in denen sich Schüler ganz nebenbei die Sprache aneignen, weil sie mit ihren Mitschülern kommunizieren wollen. „Da wird rumänisch gesprochen“, sagt Schumeier und kann es den kleinen Rumänen gar nicht verdenken. Wo Ausländer die Mehrheit stellen, bleiben sie eher unter sich, als dass Integration im Alltag gelingt.

Die Quittung für die Entwicklung folgt in der Grundschule Am Umfassungsweg auf den Fuß – die Zahl der Kinder, die schon in den ersten Schuljahren den Anschluss nicht halten, eine Extrarunde in der Schuleingangsphase drehen also neudeutsch „verweilen“ (dereinst Sitzenbleiber genannt), steigt dramatisch. Im letzten Einschülerjahrgang 2016/17 „verweilt“ fast die Hälfte der Schüler – 28 von 59, in erster Linie weil ihre sprachlichen Fähigkeiten den Unterrichtsanforderungen noch nicht genügen.

„Mit großer Sorge“ verfolgt Oberbürgermeister Lutz Trümper die Entwicklung an der Grundschule, ebenso wie an der benachbarten Gemeinschaftsschule Thomas Müntzer, deren Schulleitung mit ähnlichen Problemen kämpft. „Hier kulminieren die Probleme. Ich habe mehrfach mit dem Minister und der Staatssekretärin über das Thema gesprochen“, erklärt Lutz Trümper auf Nachfrage aus dem Urlaub.

Eine Lösung sei nicht in Sicht. Zur Ausdünnung der Sprachlehrer und zum Abschmelzen des Personals per Erlass sagt Trümper: „Das verstehe ich überhaupt nicht.“

Dirk Schumeier hat sich just in den Urlaub verabschiedet. Er freue sich auf das neue Schuljahr, aller Probleme zum Trotz. Schumeier setzt darauf, dass die Lage an seiner Schule immerhin wahrgenommen werde – und in der Folge auf Hilfe.