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Landtag Wahlbenachrichtigung für geistig Behinderte

Die Stadtverwaltung Stendal hat erstmals an Menschen mit geistiger Behinderung eine Wahlbenachrichtigung verschickt.

10.03.2016, 23:01

Stendal l Es war kurz nach der Jahrtausendwende, als die erste Wahlbenachrichtigung für Klara S. (Name geändert) im Hause ihrer Eltern eintraf. Doch Klara S. hat nicht gewählt. Nicht bei der damaligen Bundestagswahl. Und auch bei dem guten Dutzend Wahlen danach nicht.

Ihr Vater war als gesetzlich bestellter Betreuer mit der ersten Wahlbenachrichtigung ins Stendaler Rathaus gegangen und hatte ihren Fall geschildert. „Unsere Tochter hat die Entwicklungsstufe einer Fünfjährigen. Sie hat ihre Familie und ihre Betreuer als Bezugspersonen. Mit Angela Merkel oder Reiner Haseloff kann sie nichts anfangen“, beschreibt der Vater die Situation.

Eine Wahlbenachrichtigung hatte die junge Frau danach nicht wieder bekommen. Bis zu dieser Wahl.

Die Eltern macht dies stutzig. Sie schalten die Volksstimme ein. Nachfrage beim Rathaus: „Kann es sein, dass jemand, der jahrelang keine Wahlbenachtigung erhalten hat, nunmehr eine bekommen hat?“ Antwort von Stadt-Sprecher Klaus Ortmann: „Nein. Das wäre nur möglich, wenn der Umfang der Betreuung sich durch gerichtliche Entscheidung geändert hat.“

Bei Klara S. hatte sich aber nichts geändert. Ihre Eltern vertreten sie entsprechend einer amtsgerichtlichen Bestellung in einem „Aufgabenkreis“, der unter anderem „Behördenangelegenheiten“ und „Postangelegenheiten“ umfasst. Mit ihrem Einverständnis konfrontiert die Volksstimme die Stadtverwaltung in einer zweiten Anfrage mit dem konkreten Fall.

Die Antwort fällt jetzt völlig anders aus. Sprecher Ortmann: „Im Zuge der Vorbereitung der Landtagswahlen 2016 sind im Dezember 2015 sämtliche Fälle durchgesehen worden, in denen Betreuer bestellt wurden.“ Auf Nachfrage bestätigt er, dass es sich hierbei um 374 Fälle handelt. „In 202 Fällen haben wir den Status geändert.“ In diesen sei „keine Betreuung für alle Angelegenheiten angeordnet“ worden: „Daher wurde dieser Personenkreis erstmals in das Wählerverzeichnis eingetragen.“

Ist damit geistig behinderten Menschen von der Stadt – mitunter über Jahre hinweg – das Wahlrecht praktisch entzogen worden? Ortmann: „Das ist nach unserer Auffassung nicht der Fall.“ Jeder Wahlberechtigte, der nicht im Wählerverzeichnis steht beziehungsweise der keine Wahlbenachrichtigung erhält, könne beantragen, ins Wählerverzeichnis aufgenommen zu werden. Darüber werde in amtlichen Bekanntmachungen vor einer Wahl stets hingewiesen, so der Sprecher.

Die Eltern von Klara S. wandten sich indes aus einem ganz anderen Grund an die Volksstimme. „In einer Stadt, in der eine Wahlfälschung noch nicht aufgeklärt ist, wollen wir unsere Sorge äußern, dass hier die Wahlberechtigung von Menschen, die ihren politischen Willen nicht äußern können, missbraucht werden kann“, fürchtet der Vater.

Klara S. wird am Sonntag nicht wählen.