1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Helfen heißt auch mal nein sagen

Flüchtlinge Helfen heißt auch mal nein sagen

Einen Monat lang war die afghanische Familie Nuri unterwegs nach Deutschland. In Stendal haben sie liebenswürdige Nachbarn gefunden.

Von Thomas Pusch 08.01.2016, 00:01

Stendal l Das Ehepaar Krüger lebt schon seit mehreren Jahrzehnten in dem kleinen Stendaler Mehrfamilienhaus. Krüger ist nicht ihr richtiger Name, sie haben darum gebeten, dass der nicht in der Zeitung steht. Möglicherweise würden nicht alle so begeistert von ihrem Engagement für die zwei afghanischen Familien sein, die seit ein paar Monaten unter demselben Dach leben.

„Plötzlich standen sie vor der Tür“, erzählt Horst Krüger im Gespräch mit der Volksstimme. Die sechsköpfige Familie Nuri hatte ihre Flucht hinter sich gebracht, war über die Türkei, Griechenland, Serbien und Mazedonien nach Österreich gelangt. Von dort aus ging es zunächst in die bayerische Aufnahmeeinrichtung in Deggendorf. Dann ging es für Mutter Shemia und die Geschwister Ramin (16), Mocin (15), Rohen (14), Zahra (13) und Mobin (8) in die Altmark, nach Stendal. Den Vater hatten sie bei der Flucht in der Türkei aus den Augen verloren.

Krüger half ihnen, erst mal heimisch zu werden. „Natürlich hatten sie eine Grundausstattung, das Bad war komplett, aber es fehlte doch richtiges Mobiliar“, zählt Krüger auf. So begann er zusammen mit seiner Frau sich umzuhören. Bei Verwandten, Freunden, Bekannten. Etwa 90 Prozent hätten diesen menschlichen Einsatz gut gefunden, der Rest habe das eher für unnötig gehalten. Doch Krüger hat einen guten Grund, der ihn zur Hilfe brachte. „Ich bin selbst ein Flüchtling“, sagt der 73-Jährige. Gut könne er sich daran entsinnen, was seine Mutter von der Flucht aus Schlesien zum Ende des Zweiten Weltkriegs erzählt hat und wie schlecht die Umstände damals waren. So wolle er zusammen mit seiner Frau dafür sorgen, dass es den Flüchtlingen von heute besser geht.

Sechs, sieben Touren mögen es gewesen sein, um die vier Wände wohnlicher zu gestalten. Mit dem Besorgen von Mobiliar hörten die Bemühungen auch noch nicht auf. Fahrräder für die Kinder sollten her, auch das klappte. Manche Wünsche konnten die Krügers auch nicht erfüllen. Zum Beispiel den nach einem Fernseher. Die Nuris wollten gerne afghanisches Fernsehen gucken können, um sich ein Stück Heimat ins Wohnzimmer zu holen. „Wir haben lange überlegt, ob wir ihnen unseren Zweitfernseher überlassen oder ihnen einen Kredit geben, um sich einen neuen Fernseher kaufen zu können“, beschreibt Krüger. Allerdings waren ihnen beide Ideen dann doch nicht so recht.

Krügers gehören auch nicht zu der Art von Helfern, die alles nur durch die rosarote Brille sehen. Als im Herbst noch eine zweite afghanische Familie in dem Haus einzieht und abendliche Gespräche bei Beleuchtung auf dem Flur stattfinden, macht sich Krüger bemerkbar. „Die können sich doch in einer der beiden Wohnungen treffen, das ist doch sonst Stromverschwendung“, findet er. Auch die allgemeine Flüchtlingssituation betrachtet er mit Sorge. Ich weiß nicht, ob wir im kommenden Jahr nochmal soviele aufnehmen können“, meint er.

Dass die Flüchtlinge aber menschlich aufgenommen und behandelt werden müssen, daran lässt er keinen Zweifel. Und das leben seine Frau und er auch. „Am zweiten Weihnachtsfeiertag haben wir alle eingeladen und Kaffee zusammen getrunken“, nennt Hildegard Krüger ein Beispiel. Auch kleine Geschenke gab es für jeden, etwa Fahrradflickzeug oder einen Taschenrechner.

Das größte Geschenk bekam die Familie aber wohl Anfang Januar. Der zunächst verschollene Vater, zu dem aber schon seit drei Monaten Kontakt bestanden hatte, kam in der Landesaufnahmeeinrichtung Klietz an. Die Familie ist nun wieder komplett. Auch ein Fernseher steht mittlerweile in der Wohnung unter dem Dach. Stolz zeigt der 16-jährige Ramin, wie er über das Internet Beiträge von afghanischen Sendern auf den Bildschirm bekommt. „Die Familie fühlt sich wohl in Stendal“, sagt er. Auf Englisch, denn am Deutsch arbeitet er noch, seit zwei Monaten geht er zur Schule. Seine Geschwister sind auch nach und nach in die Schule gekommen. Große Freundschaften oder auch ein Heimatgefühl konnten sich in der Zeit noch nicht entwickeln. Aber ein gutes Stück Zufriedenheit. „Wir haben hier alles und vor allem Sicherheit“, meint Ramin.

Zum Wohlgefühl trägt auch ein gutes Stück die Verbindung zu den Krügers bei. „Ich brauche nur auf den Hof zu kommen, dann sind die Kinder gleich bei mir“, freut sich Horst Krüger, der so etwas ähnliches wie die Hausmeisterfunktion innehat. Die Hilfsbereitschaft ist allerdings auch keine Einbahnstraße: „Wenn meine Frau und ich vom Einkaufen kommen, dann sind sie auch gleich da und wollen tragen helfen“, freut sich Krüger.