WahlfälschungEine besondere Botin

Der dritte Tag im Stendaler Wahlfälschungsprozess könnte einer der entscheidenden in diesem Prozess sein.

24.01.2017, 01:00

Stendal l Gleich anderthalb Stunden hat die Vorsitzende Richterin Simone Henze-von Staden für die Zeugenvernehmung von Antje. M. eingeplant. Die dürfte das Gericht auch brauchen, denn die Geschäftsfrau aus dem westlichen Teil des Landkreises ist eine der Schlüsselfiguren in der Wahlaffäre.

Antje M., ihr damaliger Ehemann Wolfgang, ihre Tochter Josefine S. und die Angestellte Ivonne M. hatten im Mai 2014 fast 70 Briefwahlvollmachten im Stendaler Rathaus abgeholt – mit Vollmachten, die weitgehend gefälscht waren. Die anderen drei sind daher morgen ebenfalls geladen.

Die Geschäftsführerin hatte indes noch eine ganz besondere Rolle neben der als „Botin“ bei den Vollmachten: Nachdem am 3. Juli 2014 feststand, dass mindestens eine Vollmacht gefälscht sein musste, versuchte sie, mehrere Legenden zu stricken, um die von Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt (CDU) angekündigte Strafanzeige zu vermeiden.

Kleefeldt hatte sich dazu entschlossen, nachdem Florian M. am 3. Juli 2014 im Rathaus eidesstattlich versicherte, dass seine Briefwahlvollmacht komplett gefälscht worden sei. Angeblicher Bevollmächtigter: Wolfgang M.

Nach Erkenntnissen der Strafermittler hat CDU-Mitglied Antje M. eine von Holger Gebhardt geschriebene Erklärung am 5. Juli 2014 an Kleefeldt und an Stendals Oberbürgermeister Klaus Schmotz (CDU) geschickt und zwei Tage später den Wahlleiter auch persönlich mit einer Mitarbeiterin aufgesucht, um eine Erklärung für etwas abzugeben, das so gar nicht zu erklären war.

Kleefeldt durchschaute zumindest dieses Manöver. Die Aktionen sollten allein dazu dienen, ihn von einer Strafanzeige abzubringen.

Staatsanwältin Annekathrin Kelm stellte zum Prozess-auftakt trocken fest, dass „die Erklärung vorne und hinten nicht stimmte“.

Die Mitarbeiterin soll jedenfalls nach ihrem Auftritt im Rathaus den Rest des Tages von Antje M. Sonderurlaub bekommen haben.

Es geht hier aber nicht nur um Falschaussagen und die Anstiftung dazu. Zumindest in einem Fall sollen auch 100 Euro geflossen sein. Ob sie direkt von Gebhardt oder von Antje M. gezahlt wurden – darüber gibt es verschiedene Darstellungen.

Es wird also ein besonderes Puzzlespiel für das Gericht und die Staatsanwältin. Zumal ein Schlüsselmoment des ganzen Skandals bei den Ermittlungen bislang eher außen vor geblieben ist: Woher wusste Antje M. überhaupt davon, dass die eidesstattliche Versicherung gegen ihren damaligen Ehemann vorlag?

Florian M. bekam nämlich schon wenige Stunden nach seiner Aussage Besuch von zwei jungen Frauen, die ihn baten, ob er von seiner Aussage über den Bevollmächtigten Wolfgang M. wieder abrücken könne, da es sich um ein „Missverständnis“ gehandelt habe.

Eine der beiden ist Antje M.‘s Mitarbeiterin Stefanie P. Sie und Florian M. hat das Gericht eine Woche später geladen.

Von Florian M.‘s Aussage dürften zum Zeitpunkt des Damenbesuchs eigentlich nur drei Personen etwas gewusst haben: Oberbürgermeister Klaus Schmotz, sein Büroleiter Klaus Ortmann und Rechtsamtsleiter Rüdiger Hell.

Wer hat da geplaudert und war der „Maulwurf“ aus dem Stendaler Rathaus? Antje M. dürfte mindestens aufklären, von wem sie informiert wurde. Vielleicht erklärt sie auch die Nachricht, die ihr Tochter Julia am besagten Abend schickte. Diese schrieb nach dem Besuch bei Florian M.: (Originaltext) „Kasten Wulfänger sagt wir sollen den nicht mehr antworten er übernimmt jetzt.“ Nicht nur wegen der kreativen Rechtschreibung ist dieser Satz spannend.

Holger Gebhardt hat in seiner ersten Einlassung vor zwei Wochen betont, dass er weder Geld gezahlt noch Menschen unter Druck gesetzt habe.

Antje M.‘s Angestellte Ivonne M. gab hingegen gegenüber den Ermittlern an, dass Gebhardt ihre Chefin nach Bekanntwerden der Fälschungsvorwürfe unter Druck gesetzt haben soll. Der dritte Prozesstag wird damit auch ein Lackmustest in Sachen Glaubwürdigkeit – für das bisherige Geständnis von Holger Gebhardt und für Antje M. Am Ende dieses Tages könnte manches klarer sein, wie damals hinter den Kulisssen agiert wurde.

Der dritte Prozesstag beginnt am Mittwoch, 25. Januar, um 9 Uhr im Stendaler Landgericht. Sechs Zeugen werden vernommen. Die letzte ist für 14 Uhr geladen.