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Mietpreise Hartz IV: Wohnungen unbezahlbar

Niedrige Höchstwerte bei den Mietkosten erschweren die Wohnungssuche für Hartz-IV-Beziehende in Wernigerode.

Von Jörn Wegner 17.12.2015, 00:01

Wernigerode l Bezieher von Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) haben es oftmals schwer, in Wernigerode eine Wohnung zu finden. Der Grund dafür ist, dass die Kommunale Beschäftigungsagentur (Koba) nur sehr geringe Mietkosten übernimmt. Ist die Wohnung teurer als erlaubt, müssen die Betroffenen die Differenz aus ihrem Hartz-IV-Regelsatz (derzeit höchstens 399 Euro) zuschießen.

„Die Koba übernimmt Kosten von 301,92 Euro“, sagt ein Wernigeröder. Jedes Jahr muss der alleinerziehende Vater 120 Euro aus eigener Tasche für seine Plattenbau-Wohnung zuzahlen.

Eine weitere Betroffene darf höchstens 309 Euro für die Wohnung ausgeben. „Für den Preis gibt es leider keine Zweizimmerwohnung“, sagt die Alleinerziehende. „Ich kann schlecht mit meinem Kind in eine Einzimmerwohnung ziehen.“ Eine andere Wernigeröderin lebt mit ihrem Kind in einer Wohnung mit einer Warmmiete von etwa 550 Euro. Eine passende Wohnung könne sie nicht finden, sagt sie.

Wie teuer die Wohnung eines Hartz-IV-Empfängers sein darf, regelt ein sogenanntes Schlüssiges Konzept. Im Harzkreis und in anderen Kommunen hat dies das Hamburger Unternehmen Analyse und Konzepte (A+K) erstellt. Doch das Unternehmen ist bereits mit vielen seiner Konzepte vor den Sozialgerichten gescheitert – falsch ermittelt seien die Werte und daher viel zu niedrig angesetzt.

„80 Prozent meiner Hartz-IV-Klienten stammen aus Wernigerode und Ilsenburg“, sagt Michael Loewy, Fachanwalt für Sozialrecht aus Bad Harzburg. Loewy hält das Konzept von A+K für rechtswidrig. Es entspreche nicht den Kriterien, die das Bundessozialgericht für Schlüssige Konzepte gefordert hat. Eines der Hauptprobleme ist dabei die Art und Weise, wie der Bedarf an Wohnungen ermittelt wird. Dabei wird untersucht, ob für einen festgesetzten Mietpreis tatsächlich ausreichend Wohnungen vorhanden sind. In die Rechnung müssen Bestandsmieten und die in der Regel höheren Angebotsmieten mit eingerechnet werden.

Christian Linde, Vorstand der Wernigeröder Wohnungsbaugenossenschaft (WWG), berichtet, wie A+K vorgegangen ist. Das Unternehmen habe die Mieten sämtlicher Wohnungen gesammelt. Der überwiegende Teil der WWG-Wohnungen ist vermietet, teilweise seit vielen Jahren. In alten Mietverträgen fänden sich noch Quadratmeterpreise von drei Euro. Nach einer Sanierung liege die Angebotsmiete aber bei etwa fünf Euro. „So rechnen sie die Mieten nach unten“, sagt Linde. Die A+K-Erhebung hat auf diese Weise einen Durchschnittspreis von etwa 4,10 Euro/nettokalt für den Wernigeröder Wohnungsmarkt errechnet, einen Euro unter den vergleichsweise niedrigen Angebotsmieten der WWG.

In einem Urteil des Landessozialgerichts, das die Schlüssigkeit des Harzer Konzepts verneint, wird sogar angeführt, dass dort „Neuvertrags- und Angebotsmieten im Rahmen der Bestimmung der angemessenen Miethöhe keine Berücksichtigung fanden“.

Michael Loewy ist überzeugt, dass das Magdeburger Sozialgericht das Konzept demnächst für rechtswidrig und ungültig erklärt, das hätten vorher schon zahlreiche Gerichte anderer Länder getan.

Diejenigen, die derzeit einen Teil der Mietkosten zuschießen müssen, hätten eine beinahe hundertprozentige Erfolgsaussicht vor Gericht, sagt Loewy. Sie könnten mit der Rückzahlung sämtlicher zusätzlich gezahlter Summen rechnen, wenn es zu einem erfolgreichen Urteil kommt. Wer nicht klagt, müsste darauf verzichten. Die Angst vieler Hartz-IV-Bezieher vor hohen Anwalts- und Gerichtskosten sei „nicht berechtigt“, sagt Loewy. Sämtliche Kosten übernehme die Koba, egal wie der Prozess endet. „Das ist völlig risikolos für Hartz-IV-Empfänger.“ Auch dem alleinerziehenden Vater wurde bereits die Klage empfohlen. Allerdings schreckt er davor zurück: „Dann ist man bei denen vorgemerkt und kann in naher Zukunft mit Null-Euro-Jobs rechnen.“

Bei erfolgreicher Klage kommt die Wohngeldtabelle zur Anwendung. Ein Beispiel: Die Koba gewährt für zwei Personen in Wernigerode maximal 309 Euro, laut Wohngeldtabelle wären 418 Euro angemessen, jeweils plus Heizkosten.

Trotz der Gerichtsurteile erstellt A+K weiterhin Miettabellen für zahlreiche Kommunen. Das sei Berechnung, sagt Michael Loewy. „Von zehn Betroffenen klagt einer, vielleicht zwei.“ Am Ende würden sich auch rechtswidrige Konzepte für die Kommunen lohnen. Hinzu kämen lange Verfahrenszeiten von mehreren Jahren. Wird ein Konzept dann für rechtswidrig und nicht anwendbar erklärt, werde einfach das nächste erstellt, so Loewy.

Von den Gerichtsurteilen gegen A+K will die Koba nichts wissen. Das Unternehmen habe „einschlägige Erfahrungen und bereits positive gerichtliche Entscheidungen zu solchen Schlüssigen Konzepten erhalten“, heißt es in der schriftlichen Auskunft. Tatsächlich, so Loewy, gebe es bundesweit nur eine solche „positive Entscheidung“, nämlich vor einem hessischen Gericht.

Zur Problematik der Bedarfsermittlung teilt die Koba mit: A+K „hat nach einem wissenschaftlichen Verfahren unter Beachtung von mathematisch-statistischen Maßstäben für jeden Wohnungsmarkttyp ... geprüft, wie hoch der Anteil der Wohnungen sein muss, um eine ausreichende Versorgung der Nachfragergruppen im unteren Marktsegment sicherzustellen“.

Eine Alternative zum A+K-Konzept wäre die Anwendung der Wohngeldtabelle, sagt Anwalt Loewy. Der Kreis Goslar würde so vorgehen. Die Folge für seine Kanzlei: Es gebe kaum Auseinandersetzungen im Bereich Goslar. Die für Wernigerode geltenden Wohngeldwerte liegen teils drastisch über den Werten von A+K. So beträgt der Unterschied bei Mehrpersonenhaushalten mehr als 100 Euro.