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Zeitgeschichte Auf beiden Seiten des Zauns

Seit Mitte April betreut Ullrich Scholz das Grenzmuseum in Sorge. Der 59-Jährige hat auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze gelebt.

Von Katrin Schröder 06.05.2016, 01:01

Sorge l Die Besucher haben sich um das Modell herum aufgestellt, schauen auf winzige Harzbäume und den Miniaturwachturm zwischen den mit Stacheldraht bewehrten Zäunen. „Die wenigsten wussten von dem zweiten Zaun“, sagt Ullrich Scholz. Wenn Flüchtende über den ersten Zaun kletterten, lösten sie einen stillen Alarm bei den Grenztruppen in Sorge aus, die sofort zur Stelle waren. Als Mitarbeiter des Grenzmuseums erklärt Scholz den Gästen, wie damals das Grenzregime funktionierte und wie der Alltag der Truppen in Sorge aussah.

Lange wusste auch Ullrich Scholz weder von dem zweiten Zaun noch von anderen Dingen, die jenseits der Grenze passierten. Der 59-Jährige stammt aus Hohegeiß, hat sein Leben bis zur Wende auf der westlichen Seite des Zauns verbracht. „Zuvor bin ich nie in der DDR gewesen“, sagt er. Der Grenzzaun stand praktisch vor seiner Haustür, er und seine Nachbarn sahen manches, wussten aber nicht immer zu deuten, was sich drüben tat – zum Beispiel, ob die Grenzer gerade eine Übung absolvierten oder einen Fluchtversuch vereitelten.

An die Wendezeit erinnert sich Scholz noch gut. „Ich habe damals in einer Gaststätte im Ort gearbeitet“, sagt der gelernte Maler und Lackierer. In den aufregenden Novembertagen waren die Lokale voller Leute aus Benneckenstein und Sorge, die Verwandte und Bekannte besuchen oder einfach mal den Westen ansehen wollten.

Scholz ging den umgekehrten Weg und zog Anfang der 1990er-Jahre der Liebe wegen nach Benneckenstein. In den folgenden Jahren arbeitete er in seinem erlernten Beruf, bis er irgendwann keine Anstellung mehr fand. Über das Arbeitsamt kam er bereits im vergangenen Jahr zum Grenzmuseum Sorge, betreut als Ein-Euro-Jobber das Museum und erklärt Gästen die Geschichte der innerdeutschen Grenze. „Ich tue das so gut, wie ein Maler das kann“, sagt Scholz bescheiden.

Und das sei sehr gut, betont Inge Winkel. „Ich bin froh, dass ich ihn habe“, sagt Sorges Ortsbürgermeisterin und Chefin des Vereins für das Grenzmuseums. Mit Ullrich Scholz hätten die 22 Vereinsmitglieder einen Glücksgriff getan. „Nicht jeder hat die Sensibilität, um das Thema richtig herüberzubringen“, weiß sie. Dass Scholz bei den Gästen punktet, merke man am Spendenaufkommen – das sei gestiegen, seit er dort angefangen hat.

Inge Winkel hofft, dass Ullrich Scholz nicht nur bis Oktober, sondern auch 2017 weiter im Grenzmuseum arbeiten kann. Dort steht er den Gästen Rede und Antwort. „Die Leute haben viele Fragen“, berichtet der Mann mit dem markanten Schnauzer. Viele Jüngere oder Urlauber aus dem Ausland wüssten kaum etwas über die innerdeutsche Grenze. „Manchmal besuchen uns aber frühere Grenzsoldaten, von denen kann ich noch lernen.“

Rund 7000 Gäste haben das kleine Museum am Sorger Bahnhof im vergangenen Jahr besucht. Der Andrang sei ungebrochen, sagt Inge Winkel. „Ich war fest davon überzeugt, dass es irgendwann nachlässt, aber es wird immer mehr.“

„Das Interesse ist enorm“, bestätigt Michael Gerlach. Seit drei Jahren bringt der ehemalige Grenzsoldat einmal pro Woche Urlauber aus dem Ferien Resort Hapimag in Braunlage nach Sorge. Die Besucher stammen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Holland, Dänemark, der Schweiz oder den USA.

Öffnungszeiten von Mittwoch bis Sonnabend, jeweils 11 bis 16 Uhr; Informationen im Internet: www.grenzmuseum-sorge.de