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OrtsentwicklungDie Zeche zahlen die Wernigeröder

Die Stadträte Sabine Wetzel (Grüne) und Thomas Schatz (Linke) begründen, warum die Wernigeröder die Zeche für Schierke zahlen.

Von Ivonne Sielaff 11.05.2017, 01:01

 

Welches Fazit ziehen Sie nach acht Jahren Ortsentwicklung?

Thomas Schatz: Auf keinen Fall ist die bisherige Ortsentwicklung aus volkswirtschaftlicher Sicht eine reine Erfolgsgeschichte, wie es Andreas Meling formulierte. Klar, es wurde viel gebaut, das ist unstrittig. Aber es reicht nicht, allein die Investitionen zu betrachten. Es sind Millionen von Fördermitteln geflossen. Das muss aber nichts Gutes heißen. Mit Fördergeld ist es wie mit Anabolika: Es verleiht schnell Muskeln, kann aber auf Dauer krank machen, wenn man die Folgekosten ausblendet.

Sabine Wetzel: Zur Erfolgsgeschichte habe ich eine andere Denkrichtung. Ob Sandbrinkstraße, Arena oder Kita – die meisten Projekte haben den Kostenrahmen gesprengt. Dadurch sind nicht nur die Fördergelder gestiegen, sondern auch der Eigenanteil der Stadt.

Wernigerode kann wohl nur teuer bauen? Warum ist das so?

Wetzel: Was mich echt sehr stört, ist die milde Selbstkritik der Verwaltung. Uns werden die Kostensteigerungen so verkauft, als ginge es nicht anders. Das mag bei der Sandbrinkstraße so gewesen sein. Aber bei der Arena? Da stellt man plötzlich fest, dass der Baugrund felsig ist, dass ein Gewässerschutzstreifen notwendig ist. Was für eine fadenscheinige Überraschung! Und genau das macht die Bürger wütend. Die Leute verstehen nicht, dass solchen Fehlern keine Konsequenzen folgen. Die führenden Köpfe im Bauamt, die die Mehrkosten akzeptiert haben, sitzen immer noch da. Was nach wie vor versäumt wird, ist, über die Folgekosten einiger Projekte nachzudenken.

Welche Projekte meinen Sie konkret?

Wetzel: Parkhaus, Loipenhaus, die Arena müssen bewirtschaftet werden. Diese Kosten werden scheinbar völlig ausgeblendet. Ebenso wie die Ausgaben für neue Mitarbeiter im Bauamt, Gutachten und Planungen sowie die extra für Schierke zusätzlich geschaffene Projektleiterstelle von Andreas Meling. Für all das zahlen die Wernigeröder die Zeche.

Schatz: Nochmal zurück zur Frage, ob Wernigerode nur teuer kann. Es hat wahrlich den Anschein. Deshalb hat der Stadtrat den direkten städtischen Zuschuss für das Eisstadion per Beschluss auf 200.000 Euro gedeckelt. Das Defizit, das die Stadt durch die Arena einfahren wird, wird höher sein als die gesamten Gewerbesteuer-Einnahmen aus Schierke. Die Arena bringt uns vielleicht eine niedrige fünfstellige Besucherzahl. Und dafür 8 Millionen Euro an Baukosten? Dafür einen jährlichen städtischen Zuschuss, der in etwa so hoch ist wie die Kitagebühren-Erhöhung in diesem Jahr? Wernigerode ist eine sehr reiche Stadt. Aber die Decke wird immer kürzer.

Was bringt die Schierker Ortsentwicklung den Wernigerödern also unterm Strich?

Schatz: Wenn wir nicht aufpassen, werden Nutzen und Kosten in einem ungünstigen Verhältnis stehen. Denn Schierke finanziert sich nicht von selbst, wie die Volksstimme den Beitrag betitelte. Die Einnahmen von Kurtaxe und Gewerbesteuer fließen nämlich nicht in den städtischen Eigenanteil für die Projekte in Schierke. Das Geld geht beispielsweise in den Zuschuss der Wernigerode Tourismus GmbH. Davon werden Veranstaltungen wie Walpurgis oder der Schierker Musiksommer finanziert. Es stimmt auch nicht, dass die touristische Wertschöpfung Schierkes bei 50 Millionen Euro jährlich liegt. Um diese Wertschöpfung zu erreichen, bräuchte Schierke jährlich rund drei bis vier Millionen Gäste.

Wetzel: Die Auswirkungen waren in diesem Jahr erstmals deutlich im Haushalt zu spüren. Überall wurde gespart. Vor allem Schulen und Kindergärten waren betroffen, aber auch andere Bauvorhaben in der Stadt und in den Ortsteilen. Nur bei den Investitionen in Schierke wurde nicht gespart. Dabei hat die Stadt Einnahmenzuwächse ohne Ende – höhere Steuern, Zuschüsse vom Land. Dennoch kriegen wir den Haushalt nur gedeckelt, wenn wir Kredite aufnehmen.

Wo können Sie als Stadträte Daumenschrauben anlegen?

Schatz: Wir probieren es ja gerade bei der Kita aus. Wir müssen uns das Recht nehmen, neu nachzudenken, wenn Projekte aus dem Ruder laufen. Es darf keine Augen-zu-und-durch-Politik geben. Die Verwaltung braucht aber keine Daumenschrauben. Mir wäre ein konstruktives Miteinander wichtig. Wir brauchen eine Atmosphäre, in der Alternativen zugelassen werden, in der es nicht nur schwarz und weiß oder dafür und dagegen gibt. Die Mehrzahl der Stadträte steht der jetzigen Entwicklung kritisch gegenüber. Das heißt nicht, dass wir gegen eine Ortsentwicklung in Schierke sind.

Wetzel: Es gibt einige Stadträte, die sich mit kritischen Einwürfen zur Ortsentwicklung ständig den Mund verbrennen. Aber die anderen ziehen mit. Die Verwaltung hat bisher leider nicht das Signal bekommen: Wir machen da nicht mehr mit.

Wie nun weiter mit der Ortsentwicklung in Schierke?

Wetzel: Alles, was wir in Schierke bauen wollen – Skipiste, Seilbahn, Eisstadion – gibt es auf der anderen Seite des Brockens schon. Warum nicht auf das Skigebiet am Winterberg verzichten? Die Beschneiungsanlagen werden hauptsächlich aus dem städtischen Anteil finanziert. Wir sollten unsere Kraft stattdessen in den Ort stecken, beispielsweise in ein Haus des Gastes, um den Touristen auch Freizeitmöglichkeiten bei schlechtem Wetter zu bieten. Die Leute bleiben dort, wo sie etwas erleben können. Ich fahre doch nicht dreimal mit der Seilbahn auf den Berg rauf, um mich auf dem Wasserspielplatz auszutoben. Wir sollten den Kurpark attraktiver gestalten, die Brockenstraße zu einem attraktiven Ortszentrum umbauen, den Brocken besser vermarkten, die Natur und den Nationalpark in die Vermarktung einbeziehen, Kulturveranstaltungen von Wernigerode in den Ort tragen. Und die Schierker müssen endlich merken, dass sie sich selbst bewegen müssen. Sie müssen mithelfen, den Ort zu retten.

Schatz: Das hat Andreas Meling im Volksstimme-Interview auch als wichtig angesprochen: Und er hat sehr richtig auf die Qualitätsoffensive und eine Attraktivitätssteigerung hingewiesen, bei der in erster Linie die Schierker mitziehen müssen. Privatinitiative ist gefragt. Die Schierker müssen den Ort selbst voranbringen, nicht nur die eigenen Pfunde sichern. Mit Fördergeldern wurde ihnen ein roter Teppich ausgerollt, jetzt muss privates Kapital folgen.