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Klimaschutz Partnerschaft bewegt die Gemüter

Das gemeinsame Klimaschutzprojekt von Wernigerode und Hoi An polarisiert. Der Stadtrat hat nun grünes Licht gegeben.

Von Katrin Schröder 15.12.2016, 00:01

Wernigerode l Die Klimapartnerschaft zwischen Wernigerode und Hoi An ist besiegelt. Der Stadtrat hat mehrheitlich grünes Licht gegeben – und Andreas Tille ist dafür dankbar. Der Wernigeröder hat eine besondere Beziehung zu Vietnam und seinen Bewohnern. „Als Mitreisender der ersten Bürgerreise im Jahr 2014 haben meine Frau und ich eine junge Frau aus Hoi An kennengelernt, die wir mittlerweile als unsere ,Tochter‘ bezeichnen, weil diese Beziehung mehr als nur eine einfache Freundschaft ist“, so der Computerfachmann.

2015 hat er Le Thi Minh nach Deutschland eingeladen – weil sie wie Tille in einem internationalen IT-Projekt mitarbeitet und Flug sowie Aufenthalt gesponsert wurden. Die Stadtverwaltung habe nicht mit Geld, aber bei der Visa-Beschaffung geholfen – „für mich ein lebender Beweis für die Städtepartnerschaft“, so Tille.

Diese werde durch das gemeinsame Klimaschutz-Projekt gefestigt, argumentieren die Befürworter. Gefördert wird es über das Programm „Nachhaltige Kommunalentwicklung durch Partnerschaftsprojekte“, Nakopa. Vorgesehen sind der Bau einer Photovoltaikanlage sowie Begegnungen und Beratungen. Wernigerode und Hoi An zahlen jeweils 7400 Euro, den großen Rest trägt der Bund.

Die Summe nimmt sich bescheiden aus, hat aber angesichts drohender Defizite für Diskussionen gesorgt. Hinzu kam, dass die Stadträte sich über den Werdegang des Projekts schlecht informiert sahen. In der September-Sitzung des Hauptausschusses mussten sich Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos) und die Verwaltung heftige Kritik anhören. „Wir als Stadträte haben erst im Nachgang erfahren, dass die Wernigeröder Delegation auf ihrer Reise dorthin bereits einen Vorvertrag verhandelt hat“, sagte CDU-Ratsmitglied Matthias Winkelmann. Er ist sicher: „Wenn wir als Stadträte rechtzeitig vorher informiert worden wären, dann wären wir nicht in diese Bredouille geraten.“

Winkelmann stört außerdem, dass mit deutscher und Wernigeröder Unterstützung eine in Asien produzierte Photovoltaikanlage in Vietnam errichtet werden soll. „Das müssen wir erklären“, sagte er mit Blick auf die Diskussionen über eine mögliche Anhebung der Grundsteuer B und um den städtischen Zuschuss für den Klavierwettbewerb „Neue Sterne“. Winkelmann: „Wir sollten bei den Themen bleiben, die Wernigerode betreffen.“

Dieses Projekt sei das erste konkrete Vorhaben, dass in Verbindung mit Hoi An verwirklicht werde, hielt Tobias Kascha (SPD) dem entgegen. Es werde die Verbindung beleben, in Vietnam habe das Vorhaben bereits weite Kreise gezogen. Er glaubt: „Diese Partnerschaft wird in Wernigerode gelebt.“

Dem widersprach Thomas Schatz (Linke). „Dafür ist Hoi An zu weit weg.“ Die Einwohner müssten sich treffen, nicht nur die Verwaltungsspitzen oder Gutbetuchte, die sich Fernreisen in die Partnerstadt leisten können. „Wir sollte den Sinn von Partnerschaften mit weit entfernten Städten überdenken.“

Dafür erntete er Widerspruch. Viele Wernigeröder seien mittlerweile in Vietnam gewesen – „und zwar keineswegs nur Gutverdienende“, betonte Rainer Schulze (SPD). Freundschaften seien geknüpft worden, viele Vietnamesen leben in Wernigerode. Zudem sei es politisch bedeutsam, wenn der Ministerpräsident eines sozialistischen Landes wie Vietnam Deutschland und auch Wernigerode besuche. „Ein Großteil der Stadträte war sich bewusst, dass Partnerschaften mit Ländern außerhalb Europas eine Herausforderung sind“, sagte Christian Härtel (Linke).

Dass das geplante Projekt dem Klimaschutz nicht förderlich sei, hat Detlef Rothert ausgerechnet. Der Reddeberaner hat den Kohlendioxidausstoß kalkuliert, der durch die Klimapartnerschaft verursacht wird. Mit rund 36 000 Kilogramm des Klimagifts schlügen die Vorbereitungsflüge zu Buche, so steht es auf einem Flugblatt, das Rothert am Rande der Stadtratssitzung verteilt hat. Zum Vergleich: Die Solaranlage auf dem Neuen Rathaus habe bisher rund 80 000 Kilogramm CO2 eingespart. Rotherts Fazit: „Durch die zu erwartenden Anschlussprojekte wird weiter munter geflogen und mehr CO2 erzeugt, als durch beide Solaranlagen in Wernigerode und Hoi An eingespart werden kann. So wird ein Klimaschutzprojekt zum Klimakiller!“

Für Andreas Tille steht hingegen die Freundschaft mit Vietnam im Vordergrund. 2016 ist er erneut nach Südostasien gereist und hat „nicht nur die Touristenfassade sondern auch das wirkliche Leben kennenlernen“ können. Die Familie von Le Thi Minh und ihre Gäste aßen auf dem Boden, weil der Tisch zu klein war, mit dem väterlichen Fischerboot unternahmen die Wernigeröder eine Bootstour. „Mir ist bewusst, dass diese Beziehung durchaus ein Glücksfall ist und sicher nicht annähernd so viele Wernigeröder Bürger dieses Glück haben“, schreibt Andreas Tille.

Das nächste Treffen mit der „Tochter“ aus Vietnam ist bereits geplant – auf einer Konferenz 2017 in Montreal. Möglich wurde es durch die Städtepartnerschaft. „Kosten für Wernigerode 0 Euro.“ Als die Stadträte dem Klimaprojekt zustimmten, hat Tille laut geklatscht.