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Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad "Da darf nichts Außergewöhnliches passieren"

Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad über Aktenflut, Ermittlungsprobleme und Prioritäten bei der Beweissicherung.

28.01.2015, 01:04

Im Gegensatz zu seinen Amtskollegen anderer Bundesländer spricht Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt noch von keinem Notstand in der Ermittlungsarbeit. Jürgen Konrad warnt aber vor einem Personalabbau. Matthias Fricke sprach mit dem obersten Ankläger des Landes.

Volksstimme: In Sachsen-Anhalt führen die Staatsanwaltschaften jährlich 230.000 Ermittlungsverfahren. Waren Sie selbst schon Opfer einer Straftat?
Jürgen Konrad: Ja, in meinem Keller wurde eingebrochen. Das war vor einigen Jahren in Magdeburg.

Und wie lange hat das Verfahren gedauert?
Ich habe nach drei Monaten ein Schreiben bekommen, dass das Verfahren eingestellt ist. Der Täter konnte nicht ermittelt werden. Das war an sich schon in dem Moment klar, als ich die Anzeige erstattet habe.

Naja, klar ist das nicht immer.
Es wäre schon Zufall gewesen, wenn die Polizei ganz ohne Spuren ausgerechnet den erwischt, der bei uns eingestiegen ist.

Wie lange würde denn ein Verfahren dauern, wenn ein Beschuldigter ermittelt ist?
Die Berechnung unserer Verfahrensdauer beginnt erst, wenn wir die Akten von der Polizei erhalten. Vom Eingang bei uns bis zum Abschluss des Verfahrens dauert es durchschnittlich etwa 1,8 Monate. 85 Prozent der Fälle werden nach drei Monaten erledigt. Im vergangenen Jahr führten die Staatsanwälte mehr als 134.000 Ermittlungen gegen bekannte Beschuldigte.

Das sind eine Menge Fälle angesichts der 177 Staats- und Amtsanwälte im operativen Bereich.

Ja das ist richtig. Im vergangenen Jahr haben unsere Mitarbeiter im Durchschnitt 757 Verfahren gegen bekannte Beschuldigte bearbeitet, in einzelnen Staatsanwaltschaften noch mehr. In Dessau-Roßlau waren es sogar 782. Wenn man diese Zahlen mit den wenigen Fällen ins Verhältnis setzt, die wegen ihrer Länge in die Schlagzeilen geraten sind, sieht man, dass es ein verzerrtes Bild gibt.

Bei diesen Zahlen werden Straftaten doch nur noch verwaltet.
Das kann ich so nicht bestätigen. Die großen Verfahren bekommen wir mit einem Abschlussbericht der Polizei. Der Staatsanwalt liest sich dann die Ermittlungsergebnisse durch und bewertet, wie sich alles strafrechtlich darstellt. Wenn der Staatsanwalt einen hinreichenden Tatverdacht sieht, ist er verpflichtet, ihn anzuklagen oder einen Strafbefehl zu erwirken. Er kann Verfahren von geringer Bedeutung aber auch gegen Geldbuße wegen Geringfügigkeit einstellen. Kommt die Staatsanwaltschaft aber zu der Prognose, dass das Gericht wohl freisprechen wird, kann sie nicht einfach den Fall anklagen. Die rechtliche Bewertung der Fälle, gerade im Bereich der Kleinkriminalität, geht aber recht zügig.

Opferverbände beklagen, dass oft schon die Anträge der Staatsanwaltschaft zu mild erfolgen. Was sagen Sie dazu?
Wenn wir meinen, für einen Fall besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, klagen wir ihn an. Auch die Richter sehen sich die Akten übrigens vorher an und eröffnen das Verfahren erst, wenn sie eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung sehen. Sie bestätigen die Staatsanwaltschaft damit in ihrer Prognose.
Ich würde aber sagen, meist werden sogar höhere Anträge gestellt. Natürlich sollte man sich dabei an den Strafen orientieren, die in der Regel von den Gerichten für diese Delikte gegeben werden. Jeder wird nach seiner Schuld bestraft, wobei auch die Belange des Angeklagten berücksichtigt werden müssen. So will es das Gesetz.

Einige Kollegen aus anderen Bundesländern beklagen bereits einen Notstand in der Beweissicherung. Es fehlt an Personal und Technik. Wie sehen Sie die Lage in Sachsen-Anhalt?
Wir haben hier noch keinen Notstand im Land. Aber ich sage es mal so, die personelle Ausstattung bei der Polizei ist auf Kante genäht. Es gibt keine freie Kapazitäten und alle sind voll ausgelastet. Da darf tatsächlich nichts Außergewöhnliches mehr passieren. Den Statuts quo versuchen wir zu halten, indem es Prioritätenlisten und zeitliche Vorgaben gibt, die eingehalten werden müssen. Das heißt, wir haben bei DNA-, EDV- und Wirkstoffuntersuchungen von Rauschgiften eine unterschiedliche Untersuchungsdauer. Bei DNA-Untersuchungen haben wir zudem eine volle Auslastung, mit Tendenz zur Überlast. Wir sind aber im Gespräch mit dem Landeskriminalamt und den Polizeidirektionen und sagen, es muss nicht mehr jede Spur untersucht werden. Vielmehr sollte vor der Untersuchung festgelegt werden, welche Spur tatsächlich für den Tatnachweis relevant ist.

Sie lassen also einfach Spuren außer Acht?
Nein. Zum Beispiel wird bei einem Einbruch im dritten Stock eines Wohnhauses ein Kaugummi auf der Straße gefunden. Wenn ich aber Spuren vom Täter in der Wohnung habe, muss ich den Kaugummi nicht mehr untersuchen. Wir versuchen also, Schwerpunkte zu setzen und den Umfang der Untersuchungen einzugrenzen. Personal und die Ausstattung sind nunmal beschränkt.

Wer entscheidet denn am Ende, welche Spur wichtig oder unwichtig ist?
In erster Linie macht dies der ermittelnde Kriminalbeamte. Und wenn Zweifel bestehen, nimmt dieser Rücksprache mit dem Staatsanwalt auf. Es ist natürlich auch ein Unterschied, ob es um ein Tötungsverbrechen geht oder einen einfachen Einbruch. So eine extern an kriminaltechnische Institute vergebene DNA-Untersuchung dauert oft mehrere Monate und kostet auch einiges. Bei der EDV-Auswertung ist es übrigens nicht einfacher.

Wo liegt da das Problem?
Hier sind wir an kurze Fristen gebunden. Es droht hier, dass wir die beschlagnahmten Beweismittel wie Festplatten, DVDs oder USB-Sticks nach sieben bis zehn Monaten herausgeben müssen. Bis dahin sollten sie natürlich gesichtet sein. Angesichts der steigenden Datenmengen stellt sich das aber als Herausforderung dar.

Ist es schon einmal passiert, dass deshalb ein Verfahren geplatzt ist?
Glücklicherweise bei uns in den vergangenen Jahren noch nicht. Das heißt, die drohende Gefahr wurde schon gesehen und ihr im Jahr 2011 in einem gemeinsamen Runderlass des Innen- und Justizministeriums begegnet, der Fristvorgaben und Prioritätenlisten für diese Fälle vorgeschrieben hat. Haftsachen, Fälle von Kindesmissbrauch und Taten mit Wiederholungsgefahr stehen ganz oben auf der Liste. Wir können keine Datenträger herausgeben, ohne zu wissen, was drauf ist. Das ist ja das Schlimmste, was passieren kann. Die Prioritäten haben aber den Preis, dass weniger brisante Fälle länger dauern.

Das bedeutet, dass nicht mehr alle Beweise ausgewertet werden?
Nein. Wir werten alles aus, so bald wir es brauchen. Wenn ich 200000 Kinderpornografie-Dateien habe, wo es nur um den Vorwurf des Besitzes geht, muss ich nicht alle auswerten. Es reicht, wenn ich sagen kann, er hat mindestens 50000 davon gehabt. Das wirkt sich dann kaum mehr auf das Strafmaß aus. Anders können wir die Entwicklung auch nicht mehr in den Griff bekommen. Früher hatte eine Festplatte vielleicht 20 Gigabyte, heute bekommt man für 99 Euro schon einen Terabyte. Da können Hunderttausende Fotos drauf sein. Die Technik ist uns weit voraus.

Das Landeskriminalamt stockt Technik und Personal entsprechend auf. Hat es nicht auch Sinn, Fachleute aufseiten der Staatsanwaltschaft zu konzentrieren?
Ja natürlich. Wir haben zwar hervorragende Juristen, aber nicht jeder versteht auch das Fachchinesisch im Bereich der Cyber-Kriminalität. In der ersten Phase haben wir für Internetkriminalität bei den einzelnen Staatsanwaltschaften Sonderdezernate eingerichtet. Dies gibt es seit vier Jahren.

Ist für die Zukunft noch mehr geplant?
Ja, nachdem wir eine Zentralisierung im Landeskriminalamt haben, prüfen wir die Möglichkeit, Internetkriminalität im engeren Sinn bei einer Staatsanwaltschaft zu konzentrieren. Die Kriminalität, für die das Fachwissen von IT-Spezialisten benötigt wird, soll dann nur noch von zwei Behörden bearbeitet werden, der sogenannten Abteilung 4C im Landeskriminalamt und dieser speziellen Staatsanwaltschaft. Es gibt bereits eine Machbarkeitsstudie und ein Konzept. Die Zentralstelle für Kinderpornografie soll aber in Halle bleiben.

Ein Viertel der Jugendstraftaten wird von nicht einmal drei Prozent der Täter begangen. Wird es nicht Zeit, gegen diese Intensivtäter härter durchzugreifen?
Intensivtatverdächtige sind alle diejenigen, die mehr als neunmal polizeilich auffällig wurden. Tatsächlich verurteilte Täter mit mehr als neun Straftaten sind viel seltener. Wir haben zahlreiche Möglichkeiten, von der Ermahnung bis zum Warnschussarrest. Die wenden wir auch an. Im Jugendstrafrecht steht aber der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt. Wo Hopfen und Malz verloren ist, gehen wir natürlich härter vor. Aber gerade die Jugendkriminalität geht seit Jahren kontinuierlich zurück. Vor zehn Jahren mussten wir noch 150 Jugendliche in Untersuchungshaft nehmen, heute sind es nicht mal mehr 30.