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Parlamentswahlen Karen Stone: "Britisches Wahlsystem erneuern"

19.05.2015, 01:20

Karen Stone, aus Yorckshire in England stammend und lange in London lebend, ist seit 2009 Generalintendantin des Theaters Magdeburg. Über die Folgen der Unterhauswahl sprach Steffen Honig mit ihr.

Volksstimme: Frau Stone, glauben Sie, dass Großbritannien in fünf Jahren noch Mitglied der EU ist?
Karen Stone: Oh, ich denke, es wackelt sehr im Augenblick. Es soll in zwei Jahren eine Abstimmung geben und da müssen Menschen laut werden, die an die EU glauben. Nehmen wir Wirtschaft und Handel, wo man weiß, wie wichtig Europa mit rund 18 Prozent Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung ist. Nicht Teil zu sein von diesem wichtigen Block, wäre sehr gefährlich für Großbritannien.

Und wie lautet Ihre Prognose für die künftige Mitgliedschaft?
Als Optimistin glaube ich, dass Großbritannien weiter in der Europäischen Union bleiben wird. Es gibt viel zu viele gute Argumente. Allerdings muss es einige Korrekturen in der EU geben. Wenn Premierminister David Cameron vorweisen kann, dass sich etwas in Brüssel an der Politik der EU geändert hat, denke ich, dass die Briten da mitziehen.

An welche Änderungen denken Sie dabei?
Zum Beispiel an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wir haben in Großbritannien ein traditionelles Rechtssystem, was teilweise bis 1000 Jahre zurückreicht. Da ist es für die Leute schwer einzusehen, warum von Luxemburg aus Recht gesprochen wird. Es gibt den Fall eines Mafia-Killers, der 20 Jahre in England unter falscher Identität gelebt hat. Er durfte nicht nach Sizilien ins Gefängnis geschickt werden, weil die EU-Gerichtsbarkeit festgelegt hat, dass die Gefängnisse in Italien überfüllt sind und dies gegen die Menschenrechte verstoßen würde. Das regt viele auf. Die Briten sehen die EU wirtschaftlich sehr positiv, aber finden die Einmischung in die Politik der Mitgliedsländer falsch. Darum geht es.

London will den Freihandel, zieht aber gegen die europäische Freizügigkeit zu Felde. Wie passt das zusammen?
Wir brauchen die Einwanderer, das ist klar. Dagegen sind die Leute, die darin für sich eine Bedrohung sehen. Das ist nicht anders als in Deutschland - siehe Pegida. Ein Problem in Großbritannien ist, dass es keine Personalausweise gibt. Wer seinen Fuß auf die Insel setzt, hat daher Anspruch auf die kompletten sozialen Leistungen und nicht auf gestaffelte Unterstützung. Hier könne nur ein einheitliches Sozialsystem in Europa Abhilfe schaffen. Die Flüchtlinge, die kommen, haben oft eine gute Ausbildung und wollen arbeiten, aber es gibt einen Teil der Bevölkerung, der Angst davor hat. Die Fremden bringen mehr als sie nehmen - diese Botschaft ist schwer zu vermitteln.

Das britische Empire ist wirtschaftlich im Wesentlichen auf die City of London geschrumpft. Ohne enge Kooperation mit Europa hätte es Großbritannien noch schwerer.
Ich denke, dass viele Leute eher die britische Kultur gefährdet sehen. Nach dem Absturz durch die Finanzkrise von 2007/08 verstärken sich die Ängste, dass britische Gesetze von anderen Ländern bestimmt werden könnten. Angesichts der Krisen in Griechenland, Portugal oder Irland fragen sich viele: Ist die EU wirklich die Kutsche, an die wir unser Pferd hängen sollten? Ich halte den Euro für eine gute Sache. Aber die Einführung war eine politische, keine wirtschaftliche Sache. Man hat nicht für den Krisenfall vorgesorgt. Also, den Euro übernehmen die Briten garantiert nicht!

Das Wahlergebnis scheint zu einem zweigeteilten Königreich geführt zu haben: England in der Hand der Tories, Schottland im Griff der Nationalisten, Wales und Nordirland mal außen vor gelassen. Täuscht der Eindruck oder ist das so?
Das ist so, aber durch unser Wahlsystem, gegen das ich entschieden bin. Ein proportionales System wäre viel fairer als das Mehrheitswahlrecht. In Schottland mit 1,5 Millionen Stimmen für die SNP hat diese 56 Parlamentssitze erhalten. Im gesamten Königreich haben Grüne, Ukip und die Liberalen 7,5 Millionen Stimmen erzielt, aber nur 10 Sitze errungen. Für jeden Wähler in Schottland müssen 25 in England dagegengesetzt werden - das ist nicht demokratisch und muss erneuert werden. In der vergangenen Regierung ist es den Liberalen gelungen, die Politik der Konservativen zu entschärfen. Mit deren absoluter Mehrheit ist Cameron verstärkt den "Backbenchers" (Hinterbänklern) mit oft sehr rechten politischen Haltungen ausgesetzt. Das beunruhigt mich sehr. Aber anknüpfend an die ökonomischen Erfolge der Vorgängerregierung gibt es für mich grüne Zweige der Hoffnung.