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Herausgeber Krenz versucht mit einem Buch den einstigen SED-Chef in ein neues Licht zu rücken Walter Ulbricht als positiver Held?

22.06.2013, 01:09

Entmachtet von den eigenen SED-Genossen. Dann muss sich der greise DDR-Spitzenfunktionär Walter Ulbricht auch noch in Pantoffeln und Hausmantel für ein Foto ablichten lassen - das war 1971. Fast 40 Jahre nach dem einsamen Tod des einstigen Chefs der Staatspartei SED (1. August 1973) erscheint am 27. Juni ein rund 600-Seiten-Wälzer über Ulbricht, dessen Name für den Mauerbau 1961 steht. Ausgerechnet Egon Krenz, zweiter Nachfolger von Ulbricht und letzter SED- und DDR-Staatschef, hat den Band in der Eulenspiegel-Verlagsgruppe herausgegeben.

70 Weggefährten, Ex-DDR-Minister, Kulturschaffende und Historiker hat Krenz befragt. Der 76-Jährige, der nach dem Sturz von Erich Honecker im Herbst 1989 an die Macht kam, bleibt sich im Vorwort treu. Deutsche Biografien würden mit zweierlei Maß gemessen, schreibt er. "Die Guten kommen meist aus den Eliten der Bundesrepublik, die Gescholtenen fast immer aus der DDR." Zeit, über die Nachkriegsgeschichte beider deutscher Staaten zu reden - "so wie sie war und nicht, wie bestimmte Leute sie gern hätten".

Krenz legt nach: "Bestimmte Behörden" seien beauftragt, die DDR als ein großes Gefängnis darzustellen, "in dem das Führungspersonal nur darüber sinnierte, wie die Bürger drangsaliert werden können". Natürlich war aus Krenz-Sicht alles anders. Ulbricht sei ein Patriot gewesen - er "wollte immer das ganze Deutschland".

Doch Moskau habe das als Illusion kritisiert und sei auf Distanz gegangen. Bei Krenz liest sich der Sturz Ulbrichts so: "Der Wechsel an der Parteispitze 1971 lässt sich nicht auf den Machtanspruch Honeckers reduzieren." Ulbricht sei überfordert gewesen mit den internationalen Problemen. "Er war alt geworden."

Offiziell war der Rücktritt freiwillig. Doch hinter den Kulissen hatte Kronprinz Honecker mit Moskau das Komplott geschmiedet und sich damit selbst an die Spitze katapultiert. Bis zu seinem Tod blieb Ulbricht mit unverkennbar sächsischem Dialekt (er wurde vor 120 Jahren am 30. Juni in Leipzig geboren) noch Vorsitzender des politisch bedeutungslosen DDR-Staatsrates. Bei seinem Volk war der "Spitzbart" auch Zielscheibe von Spott und Witzen.

Hardliner und Mauerbauer

Für den Westen galt Ulbricht nicht nur wegen des Mauerbaus vom 13. August 1961 als Hardliner ("Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."). Vor den Demonstranten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 war er abgetaucht, die Erhebung wurde mit Panzern der sowjetischen Besatzungsmacht niedergeschlagen. Unter seiner Führung wurden massenhaft Unrechtsurteile gegen Aufständische vollstreckt.

Ulbricht als positiver Held? Einseitiger Geschichtsexkurs? Was könnte ein solches Buch heutigen Schülern sagen? Für Krenz sind das wohl alles keine Fragen. "Solange man hierzulande mehr über Hitler, seine Frauen, seine Hunde und seinen Bunker erfährt als über die Kämpfer gegen den Faschismus, scheint Überhöhung verständlich", schreibt der ostdeutsche Polit-Rentner.

Laut Krenz sind sich die Interviewten in einem Punkt einig: "Ulbricht war ein anerkannter Arbeiterführer. Ein weitsichtiger Politiker. Ein Arbeiter, der zum Staatsmann von Format wurde." Krenz war in der DDR zunächst Chef der Pionierorganisation, dann der Jugendorganisation FDJ, bevor er weiter aufstieg.

Auch Margot Honecker, langjährige Ministerin für Volksbildung in der DDR und heute im chilenischen Exil, kommt zu Wort. Im feinsten Funktionärsdeutsch formuliert sie: Meinungsverschiedenheiten hätten nicht die von Achtung getragenen Beziehungen zu Walter geschmälert.

Der Arzt Rainer Fuckel betreute Ulbricht in dessen letzten Jahren. Er sagt, Ulbricht habe diszipliniert ertragen, wie er kaltgestellt wurde. "Es gab kein Murren." Keiner sei vorbeigekommen, keiner habe Ulbricht angerufen. Er sei auch sparsam gewesen. Ein Teller Kartoffelsuppe in der Betriebskantine habe ihm genügt.

Ein Stasi-Personenschützer beteuert, einen Anschlag auf Ulbricht habe es nie gegeben. Der sei immer ohne Argwohn auf Leute zumarschiert und habe ungeschönte Meinungen eingeholt. Ulbricht und seine Frau Lotte hätten sich nichts schenken lassen. "Alles wurde korrekt abgerechnet. Sie hat stets alles bezahlt."

"Jedermann an jedem Ort: Einmal in der Woche Sport" - ein Credo von Ulbricht. So ist zu lesen, wie er Gymnastik trieb, ruderte, schwamm, Ski fuhr oder Volleyball spielte. (dpa)