Aktualisierung eines "Geschichtsbuches" zum Verhältnis Polen-Russland Katyn – Zwei Tragödien belasten die Beziehungen
Von Wolfgang Schulz
Geschichte kann spannender sein als ein Krimi. Das gilt besonders für die zeitgenössische Geschichte. Das zweite Katyn-Buch von Franz Kadell ist ein überzeugendes Beispiel dafür. Wer das Buch angefangen hat zu lesen, legt es erst am Schluss wieder aus der Hand.
Hatte der Historiker und Journalist 1991 im Buch "Die Katyn-Lüge" anhand von Fakten, Dokumenten und Zeugen die "Geschichte einer Manipulation" aufgedeckt, so aktualisiert der heute 59-Jährige mit dem jetzt erschienenen Buch "Katyn. Das zweifache Trauma der Polen" eine "große politische Intrige", die selbst nach sieben Jahrzehnten ganze Völker nicht zur Ruhe kommen lässt.
Morgen jährt sich zum ersten Mal der Flugzeugabsturz, bei dem der damalige polnische Staatspräsident Lech Kaczynski und weitere 95 hochrangige Politiker Polens ums Leben gekommen sind. Sie waren auf dem Weg nach Katyn bei Smolensk, um an einer Gedenkfeier für Tausende ermordete polnische Offiziere und Intellektuelle im Zweiten Weltkrieg teilzunehmen. Was ein großer Schritt für die Aussöhnung zwischen Polen und Russen sein sollte, wurde zu einer erneuten Belastung des Verhältnisses zwischen beiden Ländern, die bis heute anhält.
Das ist der aktuelle Bezug des "Geschichtsbuches" von Kadell. Der frühere Chefredakteur der Volksstimme schildert nicht nur den eigentlichen verheerenden Absturz minutiös und Gänsehaut verbreitend. Mit Akribie verfolgt er auch die gegenseitigen Schuldzuweisungen danach und – wie im ganzen Buch – ist sein Wille zu spüren, zur Aufklärung der unglaublichen Ereignisse von 1940 und später beizutragen.
Die Geschichte selbst beginnt im April 1940. Der kleine Ort Katyn wird zum Symbol für die großen politischen Massenmorde der jüngeren Geschichte. Dort und an mehreren anderen Orten wurden kaltblütig mindestens 15000 Polen durch die sowjetische Geheimpolizei erschossen und verscharrt. Für das Verbrechen verantwortlich war die ganze damalige Staats- und Parteiführung der Sowjetunion, die sich Teile Polens einverleiben wollte und deshalb die polnische Führungselite systematisch auszurotten versuchte.
Als das erste Massengrab 1943 entdeckt wurde, begann eine unglaubliche Geschichtsmanipulation. Moskau beschuldigte die Deutschen, das Massaker begangen zu haben. Briten und Amerikaner deckten die Geschichtslüge der Sowjets aus politischem Kalkül. Goebbels startete eine Riesenpropaganda gegen die Kommunisten.
Kadell entlarvt detailliert die Interessen und skrupellosen Machenschaften aller Seiten.
Übrigens wurden erst am 28. April 2010 auf Anordnung des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew sieben verschiedene Dokumente im Internet veröffentlicht, die die Beteiligung sowjetischer Offizieller bestätigten. Am 26. November 2010 verabschiedete die russische Duma eine Erklärung "Über die Katyn-Tragödie und ihre Opfer", in der endgültig eingeräumt wurde, dass das Massaker auf Befehl Josef Stalins und anderer sowjetischer Anführer verübt wurde.
Da war das erste Kadell-Buch schon 20 Jahre auf dem Markt.
Am 26. Mai um 19.30 Uhr stellt Franz Kadell sein neuestes Buch im Forum Gestaltung in Magdeburg vor.