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In Fernost wurden die Risiken der Kernkraft bislang für beherrschbar gehalten Japans vertuschte Störfälle: Atomkrise mit Ankündigung

Von Uwe Seidenfaden 15.03.2011, 05:30

Japan und moderne Technik: Beides gehörte bislang scheinbar untrennbar zusammen. Mit beispielhafter Disziplin schaffte das fernöstliche Land nach dem Zweiten Weltkrieg einen rasanten wirtschaftlich-technologischen Aufstieg.

Möglich wurde das nicht zuletzt durch die zivile Nutzung der Atomenergie seit Mitte der 1960er Jahre. Obwohl der Betrieb von Kernreaktoren in dem von starken Erdbeben besonders gefährdeten Land seit langem bekannt war, hielten Kernphysiker und die Mehrheit der japanischen Bevölkerung das Risiko der zivilen Nutzung von Atomenergie bis heute für beherrschbar.

Japan hat nach den USA und Frankreich die meisten Kernkraftwerke. Sie tragen mit 25 bis 30 Prozent zur Stromversorgung des fernöstlichen Landes bei. Der Anteil an der Stromversorgung ähnelt dem in Deutschland.

Doch anders als die Bundesrepublik setzte Japan bislang auf den weiteren Ausbau der Kernenergie. 13 neue Kernkraftwerke sollten den Atomstromanteil in den nächsten zwei Jahrzehnten auf rund 40 Prozent erhöhen, teilte die Atomsicherheitsbehörde Japans noch Ende vergangenen Jahres mit.

Diese Pläne wurden durch die jüngsten Ereignisse auf den Boden der Realität geholt. Das schwere Erdbeben am 11. März vor der Küste von Sendai hatte nahezu zeitgleich zu Notabschaltungen in elf Reaktorblöcken von vier Kernkraftwerken (Fukushima I und II, Onagawa und Tokai) geführt. Was danach geschah, darüber gibt es als Folge der weitreichenden Folgen der Tsunami-Wellen widersprüchliche Informationen vom KKW-Betreiber Tokyo Electric Power Company (TEPCO) und der japanischen Regierung.

Angesichts des Umgangs mit früheren Pannen in japanischen Atomkraftwerken sollte das eigentlich nicht überraschen. TEPCO versuchte in der Vergangenheit schon mehrfach, Pannen zu vertuschen und den Betrieb der Atomreaktoren unter dem Hinweis auf bevorstehende Energieengpässe bei KKW-Abschaltungen gesellschaftlich zu erzwingen. Oftmals wurden erst viele Monate oder gar Jahre später atomare Unfälle bekannt.

So kam es beispielsweise am 21. Juli 2007 nach einem Beben der Stärke 6,1 auf der Richterskala zu Rissen in den Kühlleistungssystemen des KKW Fukushima. Im gleichen Kraftwerk sind derzeit drei Reaktoren außer Kontrolle geraten.

Unbekannt ist auch die Lage im 70 Kilometer nordöstlich von Sendai gelegenen KKW Onagawa. Die drei Kraftwerksblöcke zählen zu den technisch modernsten in Japan. Trotzdem kam es auch hier in der Vergangenheit schon mehrfach zu Notfällen, darunter einem Feuer in einem Turbinengebäude nach einem Erdbeben am 16. Juli 2007 mit der Stärke 6,8 auf der Richterskala. Fast 60-mal stärker war das jüngste Erdbeben.

Der vermutlich schwerste atomare Zwischenfall seit der Reaktorkatastrophe vor 25 Jahren im ukrainischen Tschernobyl ereignete sich am 30. September 1999 in der Uran-Wiederaufbereitungsanlage Tokaimura. Ursache war in diesem Fall kein Erdbeben, sondern menschliches Versagen, ähnlich dem in Tschernobyl.

Nach dem schweren Erdbeben 1995 in Kyoto verschärfte die japanische Regierung in Abstimmung mit Atomkraftwerksexperten die Sicherheitsvorschriften. Wie die aktuellen Erfahrungen in Japan zeigen, reichte das offensichtlich nicht aus.