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Überlebenskampf einer Minderheit in islamisch geprägter Umgebung Christen wollen die andere Wange nicht hinhalten

Von Anne-Beatrice Clasman 05.01.2011, 04:24

Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin", heißt es im Neuen Testament zum Thema Vergeltung. Doch unter den ägyptischen Christen, die sich seit dem Terroranschlag in der Silvesternacht mehr als zuvor von fanatischen Muslimen bedroht fühlen, gärt es. Sie wollen sich wehren, manche denken an Auswandern.

Viele ägyptische Christen glauben ohnehin schon seit Jahren, dass die von der koptisch-orthodoxen Kirche Ägyptens bislang verfolgte Strategie der Friedfertigkeit und des Stillhaltens falsch ist. "Mubarak, das Blut der Kopten ist nicht billig", rufen wütende Christen vor der großen Kathedrale in Kairo, in den staubigen Gassen von Alexandria und in den Dörfern Oberägyptens.

Sie fühlen sich von Präsident Husni Mubarak und seiner Regierung im Stich gelassen. Dabei galt Mubarak, der die Geschicke des Landes seit 1981 lenkt, in christlichen Kreisen lange Zeit als Hüter der Rechte der Kopten. Seine Ehefrau trägt – im Gegensatz zur Mehrheit der Ägypterinnen – kein Kopftuch. Der Sicherheitsapparat lässt der oppositionellen Muslimbruderschaft, die für eine "Islamisierung des Staates mit friedlichen Mitteln" eintritt, seit Beginn der Ära Mubarak nur wenig Luft zum Atmen. Trotzdem fühlen sich die Christen, die knapp zehn Prozent der Bevölkerung stellen, zunehmend an den Rand gedrängt. Im Parlament sind aktuell nur zwei Prozent der Abgeordneten Christen. In der Provinz werden Übergriffe auf Christen nicht immer geahndet.

Gleichzeitig wird auch Mubaraks Nationaldemokratische Partei (NDP) immer islamischer. Dies geschieht einerseits aus taktischen Erwägungen, damit die zunehmend religiös geprägten Wahlbürger nicht zu anderen Parteien abwandern. Andererseits gibt es inzwischen auch etliche NDP-Politiker, für die ihr islamischer Glaube nicht nur im Privaten wichtig ist.

Zwar ist das Terrorrisiko für die Kopten in Ägypten bisher keineswegs mit der katastrophalen Lage der Christen im Irak zu vergleichen. Doch die Tendenz ist die gleiche: Der Anteil der Christen unter den Auswanderern ist in beiden Ländern überproportional hoch.

Nicht nur die christlichen Kirchen versuchen diesen Trend zu stoppen, sondern auch etliche Muslime, für die es eine Schande wäre, wenn die Präsenz der Christen im Orient – der Wiege des Christentums – noch weiter schrumpfen sollte. "Wird die arabische Welt bald eine Region ohne Christen sein?", fragt der in Jordanien ansässige Kommentator Arieb al-Rantawi nach dem Selbstmordanschlag in Ägypten. Er fordert die arabischen Regierungen auf, "den Christen Gründe zu geben, damit sie bleiben."

Doch bisher blieben alle Bemühungen, die Christen zu halten, ohne Erfolg. "Ich will dieses Land verlassen. Meine Kinder und ich sollten hier nicht länger bleiben. Wir wollen uns sicher fühlen", erklärte eine Koptin auf dem Weg zum Gottesdienst, zwei Tage nach dem Blutbad in Alexandria.

"Habt keine Angst, habt keine Angst!", hatte der Priester in der St.Markus-und-Petri-Kirche seiner Gemeinde zugerufen, als sich der Attentäter vor dem Gotteshaus in die Luft sprengte. Doch wer will den Christen verdenken, dass sie jetzt Angst empfinden – Angst und Wut. Sollten die Proteste der Christen länger anhalten, dann könnte die Situation weiter eskalieren. Dies wäre für die stark vom Tourismus und von ausländischen Investitionen abhängige boomende Wirtschaft Ägyptens fatal. (dpa)